Die Stunde ward gekommen, dass Bernhard und ich, der Kleine, uns wieder zum Bachlauf machten, um dem ausgesprochenen Wunsch unserer Mutter zu entsprechen. Bevor ich den Laufrhythmus meines Bruders aufgenommen hatte, sammelte ich noch ein paar kleine Steinchen für besondere Erforschungsdienste vom Straßenrand auf. Ich möchte es nicht verschweigen: während dem Mittagessen gedachte ich permanent der Forellenschattenspiele an der Sandbank und konnte mich davon nicht lösen. In mir keimte auch das Bedenken, dass das Angelsystem keinen raschen Erfolg ermöglichen würde, und Skepsis schlich sich in die Erwartungen ein.
Das Verhalten der Forelle im Gewässer beschäftigte mich als Knabe so sehr, dass ich einen Ehrgeiz entwickelte, meinem lieben Bruder ein Schnippchen zu schlagen, in dem ich der Trophäe Fisch schneller habhaft wurde als im Ausharren einer Eselsgeduld.
Während des Kartoffel–Bibbeleskäse-Menüs zirkulierte mein operativ verinnerlichter Gedanke in mir, gleich einem Hamster im Glücksrad, den Fangmechanismus auszutüfteln, der nicht nur als Wunschgedanke belassen werden sollte, sondern vielmehr Konturen benötigte, das Konkrete zu erreichen – den Fisch. Wie sagte mein Vater: „Wenn es sich um knifflige Dinge handelte, sollte es nicht an Wissen mangeln. Die größte Erfüllung des Lebens ist es, einer Idee zur Umsetzung zu verhelfen.“
Bruder Bernhard meinte, dass das strategische Vorgehen mit der Angelschnur das Richtige sei und sprach mir Mut zu, dasselbe zu denken. Er meinte auch: „Vielleicht gibt es an der Stelle keinen Fisch!“ Auf meine Frage „Warum nicht?“ erfüllte sich seine Antwort durch beidseitiges Schulterzucken. Er zitierte meinen Vater, der sagte: „Man muss nicht alles gleich beantworten. Erst denken, dann sprechen. Das Beste wäre auch, nichts zu antworten. Und warte auf den Erfolg. Dann, Kleiner, hast Du die Antwort. So einfach ist die Welt gestrickt.“ Ich hatte keinen Ansatz, dem Gesagten Verständnis abzugewinnen.
Ich hatte mir schließlich vorgenommen, meine Beobachtungen nochmals sehr gründlich vorzunehmen. Plötzlich, noch in der Distanz, kam ein Einheimischer aus dem Dorf auf uns zu. „Kleiner“, sagte Bernhard, „lass mich das machen und bleibe stumm. Pflücke noch ein paar Dotterblumen am Uferrand.“ Und der Herr in unauffälliger Bekleidung, aber erkennbar als Landwirt, fragte um sich schauend, was wir da so treiben würden. Weil Bernhard befürchtete, dass ich, der Kleine, in meiner Aufgeregtheit etwas Unüberlegtes sagen würde, antwortete er wie aus der Pistole geschossen, dass wir Blumen für unsere Mutter suchen und pflücken würden. „Dann macht das mal“ sagte der etwas Betagte und zeigte uns mit seinem Wanderstock eine Richtung an, wo das Blumensuchen einfacher sei. Bernhard bedankte sich für diesen Tipp und bemerkte, dass es auch in dieser Richtung Blindgänger geben könnte, denen wir nicht begegnen wollten. „Ja, ja…“ und er zog den Bachverlauf talwärts weiter. Unser Anliegen war unterbrochen, aber noch nicht zu Ende gebracht. Wir gingen den ausgetretenen Pfad folgend zu jener Erlebnisstätte, die unser Jagen nach dem Fisch begünstigen und erfüllen sollte. Jeder von uns hatte seine Position wieder eingenommen, die wir am Morgen bezogen und später für das Mittagessen verlassen hatten. Das Prozedere, die Angelschnur im Bachlauf zu implementieren, hatte schon Gewohnheitscharakter angenommen. Die Handgriffe waren verinnerlicht. Bernhard überprüfte das System und stellt fest, dass der Wurm nicht mehr die Frische und Appetitlichkeit aufwies, wie lebendig erkennbar und somit möglicherweise von wie von dem Fisch oder den Fischen gefordert aber nicht akzeptiert werden würde. Und überhaupt ist der Unterschied einer Fliege gegenüber einem gut gesättigten Wurm vom Misthaufen wesentlich. Ich öffnete meine Schachtel und zog einen Wurm heraus, der sich quietschvergnügt um meinen Finger wickelte, als Liebkosung gemeint. Und schon wieder ertönte der nasale Stummlaut meines Bruders mit der schon am frühen Morgen angestimmten Komposition vom Komponisten Herrn Linke beim Montieren des Wurmens an den Haken. Ich hatte Bernhard nicht gefragt, warum diese Melodie das Montieren begleitete, dennoch konnte ich mir einen Reim daraus machen, nämlich, der Wurm möge Signale aussenden, welche auch immer zur Fresslust animieren. Es war angerichtet, und das hoffnungsvolle Warten auf den Fisch begann erneut. Da würde ich aus heutiger Sichtweise gerne einen Gedanken von Jean Jacques Rousseau einfügen, der besagt: „Die Natur betrügt uns nie. Wir sind es immer, die wir uns selbst betrügen.“
Desweilen postierte ich mich an der Stelle, wo ich meine Beobachtungen aufgrund des vorauseilenden Gehorsams und der Essenszeit geschuldet, unterbrechen musste. Ich hatte wieder alles im Blickfeld und das Aufspüren von Verhaltensweisen war keine gezielte Operation, sondern vielmehr intuitiv hervorgerufen. Die Schatten, nun zwei, in gebührendem Abstand in fast gleicher Querlinie, bewegten sich seitwärts elegant hin und her, in zyklischen Intervallen von unten nach oben und Kehrtwende um 180 Grad. Was interessant und erkenntnisreich war, dass die zwei Forellen ihren angestammten Platz immer wieder ansteuerten. Ich spürte eine Unannehmlichkeit beim Sitzen und rührte mich, um die Position zu verändern. Die Bewegung hatte ich so ausgeführt, dass ich die Schatten im Bachverlauf nicht aus den Augen verlor. Kaum hatte ich mich aber nach meinem Empfinden unmerklich verändert, flitzten die Schatten unter die kaskadenartigen Steinvorsprünge. Merklich, in kurzer Zeit, erkannte ich den Schatten einer der Flüchtlinge. Darauf folgte aus der ausgespülten Uferflanke wieder ein Schatten hervor, dessen Fluchtweg ich zuvor nicht verfolgen konnte. Ich resümierte, dass die Forellen ihre Fluchtburg unter Steinen oder auch unter unterspülten Uferböschungen haben. Das wollte ich herausfinden, nahm meine gesammelten Steinchen in die Hand und warf diese aus Anschauungs- Feststellungsgründen hin und wieder gezielt in die unmittelbare Nähe der Schatten ins Wasser. Wie schon am Morgen festgestellt, erschreckt der Fisch beim Eintauchen des Steines in die Wasseroberfläche nicht, was ihn in die Flucht treiben könnte, sondern er ergreift blitzschnell die vermeintliche Beute, spuckt diese eben so schnell wieder heraus, wenn der Köder nicht des Fisches Rezeptur entspricht. Mein Bruder hatte sich derweil zur Ruhe gebracht mit einem Strohhalm im Munde. Mein Anliegen war es jetzt, das weitere Fluchtverhalten der Forelle zu erkunden, das sich nicht nur auf geworfene Kieselsteine beschränken sollte. Mir war schon klar geworden, dass die schutzsuchende Forelle Kaskaden, unterspülte Uferauswaschungen oder auch einen größeren Stein inmitten des Bachverlaufs ansteuert, wenn Gefahr im Verzug ist, wie die Juristen das benennen. Der Fisch, das Fluchttier. Mehrfach habe ich das Experiment gewagt, mich für den Fisch plötzlich und unerwartet aufrecht zu zeigen. Es war immer derselbe Fisch, den ich zunächst im Auge hatte. Nachdem die Flucht erfolgte, hatte ich mich sehr nahe an den Uferrand gebracht, wo ich den Fisch als Schatten deutlicher sehen konnte. Ich war bemüht, mich sehr konzentriert, beherrscht, asketisch zu verhalten, fast einem indischen Sadhu gleich, der das weltliche Leben völlig ausblendet, um der Aufmerksamkeit zu dienen. Ich wartete, bis der Schatten in glücklicher Eintracht wieder in Position trat. Dann bewegte ich mich nur mit den Armen, und schon hatte die Flucht ihren Erfolg. Und das tat ich mehrmals und lautlos, ohne Begleitäußerung an meinen Bruder. Bernhard hatte mittlerweile, ohne Regieanweisung an mich, den Lageplan der Angel so weit geändert, dass der Haken mit dem Wurm im Bachverlauf eine veränderte Position einnahm. Er fragte mich: „Kleiner was machst Du?“ Antwort: „Nichts.“ „Das ist doch schon was!“ klang es spöttisch aus seinem Munde. Ein solches Abfragen emotionalisierte mich in der Weise, dass das Fassen, das Erbeuten eines Fisches in mir sehr präsent wurde. Ich hatte mich schon platonisch als Petri-Meister gekürt.
Eine Assoziation der Wunschliste wechselte sich mit anderem ab, jedoch mit nichts konkretem. Der Schlüssel zur Ideenveränderung kam mit dem Wort „Netz“, das Bernhard belanglos in die Luft warf. Ich fragte ihn: „Haben wir nicht Ähnliches zu Hause?“ Antwort: „Wir sind doch ausgebombt, aber die in der Zimmerecke schimmernden Spinnenkreationen könnten einen brauchbaren Gedanken auslösen. Weißt Du, warum wir hier Trübsal blasen? Weil wir Hunger haben!“ Das Wort Netz ging mir nicht mehr aus dem Sinn. Mutti hatte einen kardinalroten, schönen großen, edlen wie eleganten Velourshut mit einer schwarzen Vogelfeder und schwarzem Netzschleier. Ich konnte mir dieses Netzwerk vorstellen und glaubte an den Gedankenimpuls Sperre. Nun kamen meine Hände ins Visier. Wie kann ich solch einen schnellen Fisch greifen? Wie versperre ich ihm den Fluchtweg? Ich spielte mit Weidezweigen, experimentierte mit Sperrsystemen ohne Zielorientierung. Einfach etwas planlos zusammenstellen, was ein Gebiet abgrenzt. Je mehr ich versuchte, einen Lösungsweg zu finden, begrenzte ich diesen gemeinten Fortschritt durch das blitzschnelle Bewegungsverhalten einer Forelle. Dann kam die Kehrtwende: mit der Überlegung, die Öffnung, das Loch, was in die Fluchtburg des Fisches führte, mit den Händen zu versperren. Das war die lang ersehnte göttliche Eingebung. Ohne meinem Bruder gegenüber auffällig zu werden, machte ich Trockenübungen, wie das alles geschehen könnte. Das Ausbrechen des Fisches aus der Fluchtburg, die er schutzsuchend eingenommen hatte, musste durch meine Hände verhindert werden. Das war der Stein des Anstoßes, dem Ersehnten nachzustellen. Bernhard bewegte sich in den Bereich des schützenden Uferwuchses, um mit Hilfe von Stockastwerk eine Treibjagd zu veranstalten. Die Forellen sollten aus ihren Schutzburgen, dem schützenden Wurzelholz, vertrieben werden. Bruderherz meinte, dass es doch Forellen geben sollte, die sich am Angelhaken verbeißen. „Die schlafen halt, die muss man aufwecken. Die Forellen müssen in die Mitte des Bachlaufs getrieben werden. Du wirst sehen, Kleiner, wir werden heute noch ein Fisch haben.“ Eine Trosttirade nach der anderen löste die Beschwörung ab. Indem mein Bruder der Hoffnung immer stärker zugetan war, wagte ich mich mal ans Ufer, um die Beschaffenheit und Lage von Bachkaskaden, Steinen, ausgewaschenen Uferformationen und Wurzelgestrüpp zu erkunden. Es war mir wichtig, vom Ufer aus bauchliegend im seichten Wasserlauf eine sehr gezielte Unterwasser-Blindekuh-Erkundigung zu betreiben, die mich befähigen sollte, nicht blind an das Geschehen heranzugehen, dem Fisch nachzustellen. Intuitiv, so möchte ich es beschreiben, bin ich an die Sache herangegangen. Unterschiedlich in der Beschaffenheit waren die Öffnungen der Fluchtein- und ausgänge. Es gab Steinformationen, die sowohl Eingang als auch Ausgang sein konnten, gleich dem eines Tunnelsystems. Wenn solche Alternativen ausgetastet waren, musste eine der Öffnungen mit einem Stein versperrt werden. Gleiches galt für Ausspülungen in Uferlage. Vielleicht war es eine Wasserratte, die ein solches Bauwerk zusammenbrachte? Im Nachhinein loderte die Erkenntnis, dass auch Fische solche vorgefertigten Fluchtwege nutzten, von wem sie auch immer zustande gebracht worden waren. Mir war nun als Kind – Knabe nicht so bewusst, dass ich mich durch eine spektakuläre Inszenierung in einen Gefahrengrad manövriert hatte, der mit den Salzheringen nicht vergleichbar war. Was mich immer begleitete, war die gefühlte Angst aufgrund des Privilegs der Fischerrechte der französischen Besatzungsmacht. Damit war nicht zu spaßen. Und es gab einige französischen Petrijünger, die das Bachgestade säumten und mit Argusaugen kontrollierten. Mein Bruder hatte in unserer Umgebung in Kürze dafür gesorgt, dass die Armenhausinsassen, also wir, die de Temples, den Status von Forschern mit erheblichem Entwicklungsdrang besaßen. Dies blieb den Bürgern in der Dorfgemeinschaft nicht verborgen. Folglich musste auch damit gerechnet werden, dass Denunziantentum zum gesellschaftlichen Aufstieg befähigte. Der Neid blieb nie aus. Selbst der Bombenhagel hat ein solches Empfinden nicht ausgelöscht. Es waren nicht nur mein Bruder und ich, die den Versuch unternommen hatten, der Delikatesse Forelle an die Flosse zu greifen. Da gab es Einheimische, die vor dem Kriege die Fischerrechte erworben hatten, und es gab auch nach den Kriegswirren Petrijünger, die dem französischen Regelwerk ein Schnippchen geschlagen hatten.
Nachdem das weitere Vorgehen ohne Einbindung meines Bruders in meiner Fangüberlegung strukturiert war, der bis dahin keinen Verdacht schöpfte, was in mir vorging und was ich zu tun gedachte, wurde mein Jagdimpuls dadurch begünstigt, verstärkt und freigesetzt, zum einen durch den quälenden Hunger und durch das intime Gelöbnis, der lieben Mutti einen frischen Fisch zu bringen und zum anderen, durch den Siegeswillen, der glitschigen Natur im Wasser habhaft zu werden. Viel Nachsehen, Peinlichkeit, Enttäuschung und Trübsal gingen den Stunden voraus, bis sich das Ausspähen, das Experimentieren, das Abschätzen zum Wagnis, die Lust zum Fischen in voller Blüte in mir entfachte.
Lautlos, gleich der Eleganz und Anmut einer anschleichenden Katze, bewegte ich mich auf allen Vieren bäuchlings zum schützenden Gestrüpp der Uridylle, aus der ich den sonnendurchfluteten Bachtümpel einsehen konnte. Jede verdächtige Bewegung, die ein dritter Ungebetener hätte aufschnappen können, um Mutmaßungen anzustellen, musste mit wachsamer List vermieden werden. Unentwegt wanderten meine Blicke, sowohl die Umgebung als auch das kristallklare Wasser abtastend, um dem Objekt der Begierde nachzustellen. Alles sollte vermieden werden, was einen Abbruch unseres, nein – nun war es mein Vorhaben, durch die unterschiedliche Fangmethode Angel oder Hände zur Folge gehabt hätte. Für meine Operation musste jede Art von Positionsveränderung mit höllischem Bedacht und Aufmerksamkeit vermieden werden, wollte ich den Fluchtweg der stromlinienförmigen farbgeschmückten Kreatur abpassen. Die Sinnesorgane dieser Forellen möchte ich vergleichen mit einem Netz aus Seismografen, die Ort und Bewegung in Sekundenschnelle auswerten, lokalisieren und die Flucht zum schützenden Hort auslösen.
Ich robbte mich immer näher ans Ufergestade, blickte zurück zu meinem Bruder, was er so anstellte, aber der sanfte Schlaf hielt ihn in Schach. Getragen von kindlicher, unbeschwerter Romantik, Naivität und unverfälschter spielerischer Gelassenheit, aber mit der Aufmerksamkeit auf ungebetene Wachposten, suchten meine Blicke den überschaubaren Fluss ab nach sich grazil bewegenden Schatten. Sobald meine Augen die Konturen der eleganten Form erfassten, musste erfahren werden, wo die Flucht hinging, ohne schon mit dem Wasser in Kontakt getreten zu sein. Meine Armbewegungen und das dadurch entstandene Fluchtbild des Fisches, das sich in mir verfestigte, veranlasste mich, mit den Füßen in äußerst behutsamer Weise in das Frühlingsgewässer einzutauchen. Zuvor entblößte ich mich lautlos, still und leise, bis zur Grenze des Erlaubten und trat sorglos in den Flusslauf hinein. Ein schockierendes Empfinden, was so ein Gebirgsbach auslöste. Es stockte der Atem. Trotz der Schockwirkung durfte der mögliche Fluchtort des Fisches nicht aus dem Auge verloren werden, was ungemein schwierig war. Das Chaos der bewegten Wasserwellen war nach Erkennen dieser Situation nicht mehr relevant für mich. Wichtig war, die Formation der Kaskaden zu ergründen; gibt es Schlupflöcher, die Lage der Steine und die Beschaffenheit der Uferauswaschungen. Ich spürte Löcher auf, auch Unterspülungen zwischen den Steinen und die mögliche Wassertiefe der einzelnen Erkundigungen. Ich suchte nun den Unterschlupf der zuvor gesichteten Forelle, die mich veranlasste, das kalte Wasser nicht zu scheuen.
Nicht genug davon musste ich mich so postieren, dass meine Greifebene durch das in die Knie gehende eine bestmögliche Position eingenommen hatte, die mich befähigte, weiter abfühlende Erkundigungen der Unterwasserwelt, Bachbeschaffenheit auszuloten. Bei diesem Abfühlen spürte ich plötzlich eine Steinhöhle, entstanden durch aufgetürmte, schön rund geformte Steine, in der sich wohl die Forelle befand. Weiteres Ausspähen ergab eine ausgewaschene kleine Höhle unter einem größeren Stein, die ich einfach mal abtastete, um Struktur, Lage und Begehungsmöglichkeit zu erkunden. Die Analyse brachte mich in einen Zustand des Kältezitterns, dem ich nur Abhilfe schaffen konnte, in dem ich aus dem Bachlauf wieder heraustrat. Als ich trockenen Boden unter den Füßen hatte, schüttelte ich mich wie ein Pelztier, das bezweckte, das Wasser aus dem behaarten Körper zu befreien. Da kein Pelz vorhanden war, begnügte ich mich mit der Handfläche, das haftende Wasser von meinem Körper abzustreifen, bis das Empfinden erwachte, dass die schwachen Frühlingsonnenstrahlen etwas Wärmendes auf der Haut zurückließen. Auch ein tollpatschiges Purzelbaumschlagen sollte dem Frösteln Einhalt gebieten. Der Rest war Gänsehaut und der Hoffnung ausgesetzt, dass die Sonne ihren wärmenden Geist weiter auf mich ausbreitete. Mein Bewegungsfeld, auf dem ich mich auch tänzelnd, wärmeaufbereitend betätigen konnte, wurde natürlich durch den lauernden Gefahrengrad von Blindgängern erheblich dezimiert. Auch das ständige Ausspähen von ungebetenen Personengestalten, die auftauchen konnten, hatten den Kleinen, also mich, sehr besänftigt, das Herumtollen auf ein Minimum zu begrenzen. Ein weiteres Schicksal, wenn es so etwas gibt, war, die momentane Unbekümmertheit meines Bruders nicht zu stören. Was mich beunruhigte, ja irritierte, war sein Schlaf, als seien wir unter einem schützenden Dach einer Herberge oder auch Heuschober.
Bruderherz sollte noch nicht bemerken, was meine Abenteuergelüste waren. Bevor ich das Verlangen in mir spürte, mich wieder auf Inspektionsreise aufzumachen bzw. auf Tauchstation zu gehen, bewegte ich mich auf Zehenspitzen zu meinem Bruder und kontrollierte seinen Lagezustand und dessen Augenpartien. Alles nicht auffällig. Der, der mich beipackzettelmäßig zu dosieren versuchte, war verstummt. Meine beabsichtigte persönliche Eroberung, das, was ich im Schilde führte, sollte weiterhin unbemerkt bleiben. Noch gab die Anwesenheit meines großen Bruders Anlass zur persönlichen Rückgratfestigung. Noch schlief mein Bruder den Schlaf eines Gerechten. Meine Blicke waren zum einen auf meinen Bruder gerichtet, zum anderen in absuchender Weise in die Umgebung. Die mahnenden Worte meiner Mutter blieben in keiner Phase der nun aufkeimenden Jagdleidenschaft unberührt.
Im sicheren Gefühl des Triumphs ward die Zeit gekommen, einer Bachforelle, Regenbogenforelle und deren Lebensfrieden zu einer rasanten Flucht zu verhelfen. Noch war es mir im Sinn geblieben, dass ich bei meiner vorausgegangenen Unterwasserinspektion einen Fisch gefühlt habe, es war keine Wasserratte. Der chancengleiche Kampf, so mein Gedanke, hatte in dem Moment begonnen, als mein Auge wieder dem Schatten im kristallklaren Wasser folgte. In behutsamem anonymem Bewegungsablauf, einige wärmefassende Senkrechtsprünge zu zelebrieren, ähnlich den Massai-Kriegern, um der körperlich Aufwärmung die letzte aufspeichernde Energiezufuhr zu verpassen, beabsichtigte ich, mein Vorhaben neu zu starten. Hier stand ich nun an den Fanggründen, die ein Kreatives an Listigkeit voraussetzten, wenn dem Hunger entgegengetreten werden sollte.
Mit der Aufmerksamkeit auf das selbstbestimmte Schicksal fixiert, entledigte ich mich in aller angemessenen Hast und Eile aller unnötigen Bekleidungsstücke. Waren ungeahnte, plötzliche und unerwartete Hemmungen bei der Demaskierung aufgetreten, wurden diese unterdrückt von dem, was im Unterbewusstsein ein Triebmechanismus zur Kompensation freisetzte: den Schritt ins kühle Wasser. Dann trat ich wieder in den Fluss, der nicht mehr das selbe Wasser führte wie zuvor. Das Jagdfieber regulierte die Körpertemperatur auf ein erträgliches Maß, was aber die Unverträglichkeit nicht eliminierte. Als ob man auf leisen Sohlen die schlafende Natur nicht rühren möchte, watete ich durch das Wasser, dorthin ,wo der Fisch sich in Sicherheit wägte. Zielstrebig ging ich zur Steinkaskade zum kleinen Wasserfall. Eine Trockenübung und Ausrichtung der Hand mit Fingeranordnung, dann breitete ich meine Finger aus, tauchte sie ins Wasser und ertastete das ausgewaschene Schlupfloch zur Fluchtburg der Forelle. Nachdem die Öffnung gefühlt war, versuchte ich, meine Finger so einzurichten, dass ich fähig war, die Hand gleich einer Harpune in die schmale Öffnung einzuführen. Ich bemerkte, dass mit Zwang und Kraftaufwand ein Handoberflächendruck entstand. Immer enger fügte sich die Handfingerkonstruktion in den Unterschlupf der Forelle, der schon spürbar wurde. Ich bin am richtigen Ort. Die Finger in ihrer begrenzten Beweglichkeit tasteten nach dem glitschigen Gesellen und wahrlich: der Fisch saß in der Falle!
Ein Zwiegespräch zwischen Fisch und mir ward abgehalten – von Erfüllung, von Bitten, Gotteshilfe, Verständnis, Bangen, Mitempfinden, Mitleid und der Abwägung Lebenswille des Fisches und Lebenswille vom Kleinen – mir. Ich gestehe, ein sehr widersprüchliches Empfinden türmte sich in mir auf. Ein schreckliches Empfinden, was sich da zuträgt, in solch einer animalisch anmutenden Hetzjagd, wo es darum ging, dem Glückerlebnis etwas abzugewinnen. Noch war der Zeitpunkt nicht gegeben, das Restliche zu vollbringen. Die taktische, mögliche Variante des finalen Zugriffs sollte sich erschließen nach den gefühlten Ausmaßen der Größe, Dicke und der Lage des Fisches in Verbindung mit der von mir erfüllten Umklammerung. Währenddessen, als die prüfende abwägende Berührung der Forelle gelang, pochte mein Inneres wie ein Kolbenmotor. Mein Pulsschlag in der Nähe des Halses, der an einen Stein gepresst war, wurde spürbar. Wasserdampf entwickelte sich über meinem Kopf, gleich einem Pferd, das seine Trophäe auf der Rennbahn erstritt. Und zwischendurch rumorte das Gewissen.
Die Lokalisierung der Fischphysiognomie kam zu der Schlussfolgerung, dass der finale Haltegriff nur unter Zuordnung des Daumens, Mittel – oder Zeigefingers im Kiemenbereich möglich wäre.
Immer wieder, wie ein Blitz, kam der Tod, dem wir in Form des Bombenangriffes entronnen waren, in mein Gedankenbild. Ein leichtes, aber spürbares Entsetzen bremste vorübergehend den kindlichen Jagdtrieb, der sich da entfachte. Noch hatte ich die Kiemenpartie nicht erreicht, um den Haltegriff zu setzen. Es gelang aber ein Griff im Mittelteil der Forelle in der Nähe der unteren Bauch-, Steuerflosse (so nenne ich das mal). Vorsichtig versuchte ich, meine Hand, die sich als Faust ausbildete, aus dem Steinverlies unter der Wasserkaskade herauszuziehen und musste nun feststellen, dass sich die geschlossene Hand mit Fisch zur eigenen Falle auswies. Meine Hand mit Fisch konnte aus der Steinhöhle nicht entweichen. Die geballte Faust wurde zur eigenen Falle. Welch eine Symbolkraft, die sich dem verwunderten Knaben da anbot. Panik, Angst und Ratlosigkeit waren nicht im Vordergrund meines Bewusstseins, vielmehr inspirierte mich das Festhalten am Fisch, an der Beute, an der lebenden Trophäe zu alternativen artistischen Armbewegungen. Drehen, Ziehen, Drücken, Schieben, Verlagerungen der Umklammerung durch verändertes Kompensationsverhalten der jungfräulichen, noch biegsamen Knabenfinger und was auch immer sich ermöglichen ließ. Der Fisch ist mein, so mein Credo! Welch eine Zwangsjacke, die ich mir da selbst angelegt hatte. Rücklings betrachtete ich meinen Bruder, der noch in der gleichen Lage verweilte wie 10 Minuten zuvor. Das Drama, was sich da nun vorstellte, war ja nur von kurzer Dauer, zumal die Wassertemperaturen nicht unbegrenzt dem Lebensrhythmus zugemutet werden konnten. Aber gerade die Wassertemperatur, so schien es mir, hatte dazu beigetragen, den schmerzenden Augenblick einer Handbewegung zu überwinden. Das Duell trat in eine Entscheidungsphase, um dem Lorbeer nicht entsagen zu müssen. Eine Handdrehung mit dem Fisch, und zwar um 180°, ermöglichte, dass die Fingergelenke sich in den Sand schieben konnten und somit etwas mehr Bewegungsfreiheit für das Herausziehen der Faust mit Fisch möglich war. Unvorsichtigerweise hatte ich meine eigene Körperposition mit der Schwerpunktveränderung weder kontrolliert noch wahrgenommen. Das sollte sich noch als ungünstig erweisen. Das ständig ausgeübte Bewegungssystem mit der als Falle funktionierenden linken Hand vernachlässigte auch die Abstützung der rechten Hand, die sich auf einem bemoosten Stein positionierte, so, dass die plötzlich unkontrollierten Bewegungsspiele in der linken Fanghand zu einem Abgleiten der rechten Hand führte und der ganze Kerl, also ich, rücklings in den Bachlauf fiel. Wenn man möchte, ein unvorhergesehenes, ganzkörperliches erfrischendes Wasserbad mit Atemunterbrechungen. Ich lag plötzlich auf dem Rücken im Flusslauf. Aus irgendeinem reaktiven Verhalten erfüllte sich in diesem Moment die Möglichkeit, den Fisch an den Kiemen mit Daumen und Zeigefinger zu fassen und veränderte die Bewegungsqualität merklich zu meinen Gunsten. Kaum war der Fisch seiner Freiheit beraubt, katapultierte ich den Fisch mit der Fanghand in hohem Bogen aus seinem feuchten Element ans rettende – nein Tod bringende Ufer. Ich hievte mich langsam, dem eingekühlten Körper geschuldet, beobachtend aus dem kühlen Nass und blickte auf meine Hand, deren Gefühl kaum spürbar war. Im weiteren erkannte ich auch sehr leicht blutende Schrammen, die den gefühlten Lohn nicht beeinträchtigten. Die Tat war vollbracht. Mich durchflutete das Gefühl eines inneren Stolzes und beseelter Freude. Ich dachte dabei an Mutti und ihr Staunen, was der Kleine schon kann oder auch anrichtet. Mein Bruder verharrte noch immer in derselben Schlafposition, und ich war darüber sehr glücklich, um mich so in Ordnung zu bringen, damit er nicht bemerken würde, was ihn zu einer Frage hätte nötigen können, was ich in der Schlafperiode so ausheckte. Zunächst musste ich mich wieder ankleiden, was nur bedingt möglich war. Meine Unterhose hatte ich hinter einem Buschwerk, jeder erdenklichen Augenwahrnehmung entzogen, auf einem Zweig zum Trocknen gelegt und die Überhose zunächst provisorisch angezogen. Darüber ein zurechtgeschneidertes, in grau gehaltenes Wollhemd von meinem Großvater mütterlicherseits und schwarze lange Strümpfe, von mir selbst mit modischer Eingebung zu Kniestümpfen gestylt durch Drapieren der oberen Strumpfhälfte (die Strümpfe waren selbst gestrickt von meiner Großmutter), dann mein Schuhwerk, bestehend aus einer flachen 15 mm dicken Holzsohle mit Lederriemen Marke väterlicher Eigenbau. Nicht zu verwechseln mit den Holzpantoffeln aus Holland. Noch war es mir nicht vergönnt, den Maskenball so auszukosten, wie von mir gewollt. Plötzlich bemerkte ich die Aufrechterhebung des Kopfes meines Bruders. Mir wurde signalisiert, dass mein Bruderherz aus dem Nachmittagskoma erwachte. Eine solche Andeutung machte mich sehr nervös und lähmte dazu noch den Bewegungsablauf zur Klamottenmusterung. Noch tönte es nicht mit dem Ruf: „Kleiner, was treibst Du?“ Damit war sichergestellt, dass das Siegesempfinden noch nicht gestört wurde durch ein lästiges Nachfragen, vielmehr mich anrührte mit geschwellter Brust den Grundton “Aaaah“ als Nasallaut in mir klingen zu lassen. Ein Jauchzen musste unterlassen werden. Dies nicht nur wegen meines Bruders, vielmehr gegenüber den Personen, die mir das Petriglück nicht gönnten und denen, die mir es nicht gönnen durften. Nach heutiger Sichtweise der militärische Abschirmdienst. Mein Blick wanderte immer wieder an die Stelle, wo der Fisch, die Regenbogenforelle, in ihrer pittoresken Farbkombination und Schönheit den Kontrast zur Dotterblumen und der frühlingsgrün geschmückte Wiese in eine erquickende erhabene beglückende Impression transformierte. Der Blick in das leuchtende Grün entzauberte meine Fantasie. Während ich im Grase saß, um meine Strümpfe zu drapieren, erfasste mich die Überraschung, dass sich Bernhard plötzlich in die Senkrechte erhoben hatte. „Kleiner“ sagte er, „ich habe etwas gedöst. Wollen wir mal schauen, was unsere Angelkunst so bereitet hat? Wieso hast Du nur einen Strumpf an?“ „War etwas im Wasser“ so meine lapidare Antwort. „Hast Du jemanden gesehen?“ „Nein – nur Forellen im klaren Wasser, Bruderherz.“ „Und Deine Haare? Die sind ja nass. Was für einen Blödsinn hast Du gemacht?“ „Nichts dergleichen!“ so verneinte ich. „Aber ich habe einen Fisch gefangen.“ „Was hast Du? Einen Fisch gefangen? Womit?“ „Mit meiner Angel…“ „Kleiner? Nein- wo ist denn der Fisch Kleiner?“ „Da auf dem Stein in der Wiese am Gebüsch. Ich habe ihn mit der Hand gefangen.“ Mein Bruder blickte auf die Hände. „Hat die Deine Hand angefressen?“ „Nein, der Stein da drüben unter der Wassertreppe war sehr rau und eng.“ „Und wie hast Du das gemacht?“ Ich erzählte ihm das, was ich hier erzählte. Nachdem er mit Respekt und Achtung meiner Erzählung folgte, partizipierte er warmherzig an meinem Erfolg. Ich stand auf, zwischenzeitlich hatte ich meinen zweiten Strumpf aufs Bein gezogen, und hüpfte auf die Seite, um den Fisch, den kostbaren Erfolg aus dem Bachlauf, zu präsentieren. Jetzt fasste ich ihn auch behutsam respektvoll, würdevoll an, doch er entglitt mir zweimal aus der Hand beim Versuch, diesen in wippenden Handbewegungen zu gewichten. Die Forelle war in angemessener Größe und Gewichtsverhältnis, dass sich das nach Hause gehen mit dem Fisch als geboten erwies. Bernhard mahnte nun zur Vorsicht. Erst schaute er nochmals nach der Angel, die sich in einem Gestrüpp verhakt hatte und wollte nicht mehr auf den großen Fisch warten und ergab sich in kollektiver Zufriedenheit. Der Aufbruch, den Weg nach oben zum Armenhause zu gehen, war von mir noch nicht gewünscht. Die Ursache dafür war, dass der Trocknungsvorgang meiner Unterhose, die den lauen Winden hinter dem Gebüsch ausgesetzt war, noch nicht ausreichend abgeschlossen war. Diese Offenbarung nötigte mich zur ganzen Wahrheit, dass ich rücklings in das Flussbett gefallen war.
Ein solches Geständnis hatte eine Standpauke zur Folge, die einer Gebrauchsanweisung nach heutigem Lebensertüchtigungsstand entsprach. Eine Ansprache, die, je länger sie ausharrte, desto drohender die Gewitterwolken am fernen Horizont waren. Plötzlich meinte Bernhard, um das Ereignis des Fischbesitzes, wenn danach gefragt wird, gegenüber der Mutter milder zu gestalten, dass wir ein Experiment im Verborgenen vorgenommen hatten, „um einen Fisch für Dich, liebe Mutti zu fangen, damit Dein Wunsch, frischen Fisch zu genießen, Erfüllung findet“ so Bernhard’s Version. Als ich das hörte, war ich überhaupt nicht abgeneigt, weil das Vertrauen zwischen Mutter und Bernhard aufgrund des Alters einen höheren Bestandswert hatte als möglicherweise eine Erzählwelt, die auch eine lebensbedrohende, leichtsinnige Phase (dem war auch so) beinhaltete und das Grauen des Alltags für Mutti in eine zusätzliche, erhebliche Bedrängnis hätte führen können. Also klatschte ich mit Begeisterung in meine Hände, dem Schlimmsten an Erziehungsanklage entronnen zu sein. Und doch wurmte es mich, dass der, der das Abenteuer erfolgreich werden ließ, nicht der Beglückwünschte sein konnte. Noch war ich nicht zu Hause im Armenhaus, wo Mutti schon auf uns wartete. Vielleicht gibt es ja einen friedvollen Wortwechsel, der erfüllen lässt, dass ich auch teilhabe an der Trophäe Fisch? Bernhard meinte „lass mich das Sagen haben und alles wird gut.“ „Und morgen nehmen wir wieder den Platz ein, der weniger verwundbar ist. Was wir machen müssen, ist, den Flusslauf, dort, wo wir angeln gehen, nach Blindgängern abzusuchen. Ich sagte ihm „Warum morgen? Meine Unterhose ist noch nicht trocken. Lass uns noch hier sein. Vielleicht kann ich Dir zeigen, wie ich dabei vorgegangen bin, den stromlinienförmigen Schatten aufzuspüren.“ Wir saßen nebeneinander und starrten in den Bachlauf. Meine rechte Hand zielte in die Hosentasche. Dort befanden sich noch Kieselsteinchen, die ich aufnahm. Es dauerte nicht lange, bis ein Schatten in Erscheinung trat. Nicht an der Stelle, an der ich mein Experiment wagte und erfüllte, sondern einige Schritte weiter, hinter dem Heuschober, der meine Unterhose vor fremden Blicken schützte. Ein Steinchen ließ meinen Bruder erstaunen und meinte, ich solle ein Wurm aus der Schachtel nehmen und in die Zone der Forelle werfen. Das grobschlächtige Vorgehen meines Bruders am Ufer des Baches verscheuchte nicht nur die Fische, sondern möglicherweise auch die Fliegen und anderes erschreckbares Getier. Der Kleine, also ich, maßregelte sein Verhalten. Bernhard’s Nachfrage, wie er es tun sollte, bestärkte mich, in dem Attribut der kognitiven Wissensbildung als fast 7jähriger zu entsprechen. Ich unterrichtete ihn, mein Bruderherz, dass das Aufstehen und Steinchen werfen oder so etwas Ähnliches nur zur Frustration gereicht. Anschleichen auf Grasnarbenhöhe ist der Weg zum Erfolg. Da mein Bruder sehr schnell das Wesentliche meiner Gedankenbilder erfasste, kündigte er kopfnickend an, dass der morgige Tag ein Freudentag werden sollte. Dies unter der Beachtung meiner Erfahrung und seiner Verbesserungen. Ich möchte nicht verschweigen, dass mich die Botschaft, am anderen Tag meine Taktik anzuwenden, nicht in eine Euphorie versetzt hätte, vielmehr rief es Unbehagen hervor, zum Handlanger degradiert und allzu widerwillig als Erfolgsgehilfe abgestempelt zu werden. Nach 20 Minuten Standpauke mit Auflassungen inspizierte ich meine Unterhose, die nicht dem Trocknungsgrad entsprach, der mein Wohlwollen begünstigte. Vielmehr nötigte er mich dazu, die sich noch feucht anfühlende Unterhose mit Zurückhaltung anzuziehen, und dies hinter der Scheune.
Bernhard packte die gut genährte Forelle mit Blattgras ein und verstaute sie in seinem Oberhemd. Er delegierte mich, den für die Mutti zuvor gepflückten Dotterblumenstrauß nicht zu vergessen, welcher in einer Wiesenpfütze seine Nahrung fand. Ich nahm das gelb leuchtende Blütenmeer an mich heran und wartete auf Bruders Abmarschkommando. Ich wurde nochmals vergattert zum Stillschweigen, um Mutti nicht in eine zukünftige Besorgnis zu stürzen.
Im Gänseschritt bewegten wir uns zum Haus der Armen. Die Dotterblumen in der einen Hand, die andere in der von Bernhard, ein Bündel Gras und Blattwerk, in dem der Fisch ruhte, verstaut in seinem Hemde. Wir waren nun zum Aufbruch bereit. In mir baute sich ein innerer Siegeszug auf, dem nur noch die Fanfarenklänge abhandengekommen waren. Im Zeichen des Triumphes war der Aufstieg zum Armenhause nur noch von einer unbekannten Erwartung stilisiert. Bernhard ermahnte mich beipackzettelmäßig an die Gefahren von herumliegenden Blindgängern. „Bleibe hinter mir und nicht blindlings ausbüchsen, mein Kleiner.“ Ich wunderte mich schon, dass er mir keine Hundeleine angelegt hatte, um dem richtungsgebenden Gleichmarsch nicht entfliehen zu können. Und wir begannen den Aufstieg.
Oben angekommen schlenderten wir zunächst schnurstracks, aber völlig unbekümmert, ja zeitlos, in den Holzschuppen, der zum Armenhaus dazugehörte. Wir stellten uns hinter die Wandbretter. Mein körperliches Unbehagen durch die feuchte Unterhose, die Jucken und Kratzattacken auslöste, konnte ich nur schwerlich kompensieren. Die Erfordernisse, die dazu nötig gewesen wären, konnten nicht umfangreich Abhilfe schaffen. Es juckte mal da, mal dort, mal unten, hinten und oben, wo eben die feuchte Bedeckung ihren Niederschlag hatte. Bernhard meinte, ich sollte mich mehr disziplinieren. Mutti sollte nicht auf meine Fangkünste aufmerksam gemacht werden. Ich hatte zu diesem Zeitpunkt meiner Lebensbeschaffenheit mit Bezug zu seiner Ermahnung keine Ahnung, was er mit dem Wort Disziplinierung meinte. Und dann die monotone Satzkonstruktion mit der Nachfrage an mich: „Hast Du das kapiert?“
Nachdem die Aufmöbelung meiner Person nur bedingt einer Eventualität Rechnung tragen konnte, wurde ich dadurch nicht merklich ins Licht gesetzt. Einen kleinen unmerklichen Klaps auf den Hinterkopf begleitete Bernhard mit den Worten „das stärkt das Denkvermögen.“ Solche Schulmeistereien lenkten nicht selten vom eigentlichen, erfüllbaren Geschehen ab. Wir musterten uns gegenseitig und Bernhard meinte „Kleiner, mache jetzt ein Sonntagsgesicht“, was mich wieder in fragende Zweifel führte. „Sonntagsgesicht – Was ist das?“ „Lächle!“ Und mir juckte es an allen Körperteilen, die von der Unterhose bedeckt waren. Missmut erfüllte mein Temperament. Es begleitete mich bis zum Armenhauseingang ein etwas mulmiges Gefühl, das dann aber gänzlich verschwand, als Mutter aus dem Zimmer (sie saß an der Nähmaschine) mit lieblicher Stimme, was immer ihre Art war, ertönen lies: „Seid Ihr wieder da?“ Bernhard antwortete: „Mutti wir haben Dir etwas mitgebracht.“ „Was denn?“ „Nehme und schau, was der liebe Gott außer den Blumen – Kleiner gebe der Mutti die Blumen – uns gegeben hat.“ Meine Mutter war irritiert und zögerte im Ablauf einer Pantomimik ihrer Armbewegung und griff nach dem von Bernhard zugereichten, grünen Bündel. Voller Skepsis legte Mutti das Bündel auf die kalte Herdplatte, (nicht Herdplatte, das waren Herdringe) und breitete unter Mithilfe von Bernhard die Gabe Gottes auf. Staunen oder Entsetzen in den blass gewordenen Gesichtszügen von Mutti. „Woher habt Ihr diese prachtvolle Forelle?“ Das Wort prachtvoll dämpfte schon eine mögliche verschärfte Kritik und drohende Standpauke an Bernhard. „Macht uns bitte keine Schande, wir sind hier nur geduldet.“ Und tatsächlich kam eine in staccato folgende Ermahnung an das Verhalten und das schlechte Vorbild von Bernhard mir gegenüber. „Du weißt doch Bernhardle, welche Konsequenzen es haben könnte, wenn du diesen Frevel betreibst, für Dich, Deine Geschwister und Eltern. Denkst Du so wenig an die Tage zurück, die wir beim Bombenangriff erleben mussten?“ Bernhard beruhigte zunächst die Stimmungslage mit der Frage an Mutti. „Was meinst du mit Frevel? Wir haben nichts Schimpfliches getan.“ Ganz beruhigt und in märchenhafter Erzählung konnte Mutti den Weg oder den Hintergrund zum Besitz der köstlichen Kreatur vernehmen. Selbst ich war in meiner versprochenen Zurückhaltung beeindruckt von Bernhards lebendiger, ja glaubhafter Inszenierung. Als Requisite musste ein Rinnsal herhalten, ein kleiner Wasserabzweig, der Wasser vom Bach in die Wiesen zu transportieren hat, insbesondere in den Sommertagen, um dem Gras üppiges Wachstum zu verleihen, in dem sich die Forelle im sehr seichten Wasser irrtümlich verloren hat. „Der Fisch kämpfte ums Überleben, und wir sahen sein Leben schwinden. Bevor er ganz verendet, habe ich ihn zu mir genommen und mitgebracht. Und hier liegt er nun, der frische Fisch aus dem frischen Wasser. Und diese Begegnung mit dem Fisch haben wir erfahren, nachdem wir die Blumen für Dich gepflückt haben.“ Weitere Frage von Mutti: „Hat euch jemand gesehen?“ „Natürlich nicht! Während ich mich zum wasserlabenden Rinnsal begab, nachdem ich den Bereich nach Blindgängern abgesucht hatte, hat der Kleine die Dotterblumen gepflückt, um Dir eine Freude zu machen.“ Muttis Hand griff nach mir und streichelte mir übers Haupt und bemerkte, dass die Haare noch sehr feucht waren. „Was hast Du mit Deinen Haaren gemacht?“ fragte Mutter. „Nichts!“ „Die sind doch ganz nass!“ Bernhard sprang ein und erklärte, dass wir uns etwas frisch gemacht hätten und dafür etwas Wasser aus dem Rinnsal getrunken hatten. „Möge es so gewesen sein!“ und ihre rechte Hand wippte mit dem Zeigefinger vor unseren Augen.
Mein Vater wurde vom Dachboden gerufen. Dort hatte er sich ein Provisorium eingerichtet, um seine wissenschaftlichen Tätigkeit weiterführen zu können. Der liebe Papa erdete sich und kam mit der Frage in die Tür: „Was gibt es, Muttchen?“ „Schau mal, was die beiden Buben gebracht haben.“ Ein lebendiger, strahlender Blick und die sofortige Nachfrage „nach welchem Rezept wirst du den Fisch zubereiten?“ Im Gesicht meiner Mutter konnte ich feststellen, dass sie eine andere Reaktion erwartet hatte, zumindest die Ursache und die Herkunft der Köstlichkeit zu erfragen. Aber nichts dergleichen geschah. „Das habt Ihr gut gemacht. Gibt es diesen Fisch in dem Bächlein?“ „Ja“ sagte Bernhard und wusch sich die Hände. „Ich hätte nicht geglaubt, dass da Fische zu finden sind. Vater beglückwünschte uns zu dem Fang und das ermunterte mich und Bernhard, das soweit wie möglich in unser Tagesprogramm einfließen zu lassen. Vater wendete sich wieder zur Tür zu und bot sich an, beim Zubereiten behilflich zu sein. Mutti bereitete die Forelle schließlich in einer Kasserolle zu.
Rezept:
Wenn man hat, 3 Forellen, säubern nach eigener Geschicklichkeit
Die Kasserolle innen mit etwas Butter auskleiden, dann die Forellen innen mit einem Thymian- und Rosmarinzweig und klein geschnittenen Knoblauch und Ingwerscheiben bestücken, etwas Salz etwas Pfeffer, dann die Forelle wieder zusammenklappen und in die Kasserolle legen.
Dann ein halbes Wasserglas besten Riesling trocken in die Kasserolle geben, dann gleichviel süße Sahne über die Forelle gießen. Danach über die Forelle geriebenen aromatischen Bergkäse oder auch Parmesankäse geben.
Dann an der Seite der Forelle 3 Schalotten und links und rechts der Forellen 3 dünne Scheiben Tomaten legen.
Danach noch Salzbutterflocken nach Belieben und dann in den Ofen bei 130 °C ca. 35 bis 40 Minuten.
Achtung, eine Kasserolle muss aufgeheizt werden, deshalb die Zeitangabe.
Jeder der sieben Personen unserer Familie hatte das große Vergnügen, eine Gabel der Köstlichkeit kosten zu dürfen.
Danach haben wir es ermöglicht, unter Berücksichtigung des französischen Verbotes, unseren Anteil des Genusses aus dem dahinplätschernden Gebirgsbach ermöglichen zu können. Diese naturbelassene Welt war für mich angenehm und einzigartig für mein Glück, das sich gerne auf sich selbst beschränkt. Ich habe bis heute noch niemanden getroffen, der meine Bestimmung zu einer Lebensverpflichtung machte. Es ist schön, das Einzigartige zu erkennen.
Günther de Temple
Isabel