Nachdem die Existenzgrundlage unserer Familie durch ein mörderisches Bombardement zunichte gemacht wurde, war uns ein äußerst idyllisch gelegenes Bergdorf als vorübergehende Bleibe zugeteilt. Der bäuerliche Ort war nicht nur durch den architektonischen Charakter des Fachwerks der Häuser ins archaische Blickfeld gesetzt, sondern bestach zudem durch ländliche Aromen der sich abstrakt hervorhebenden Misthaufen, die sich vor den Bauernhäusern türmten und gen Himmel erhoben und stanken. Ebenfalls hervorstechend war der Brunnen, an dem die Kühe, Ochsen, Pferde, Schafe und Ziegen zur Tränke geführt wurden, danach der Hüter seinen Durst noch stillte, dem getretenen Rhythmus der Hufe auf den gepflasterten Dorfwegen, Menschen, gekleidet aus Leinen selbst geschaffener Haute Couture sowie der Dorfbewohner gefurchtes Antlitz vom täglichen Streben, Schaffen und Raffen gezeichnet war.
Unsere Unterbringung in einem Fachwerkbauernhaus, märchenhaft anmutend, verwinkelt, mit Geruchsnuancen durchzogenen Räumlichkeiten und Stallungen für Kleinvieh wie Säue, Ziegen, Hasen, eine oder zwei Kühe, das weiß ich nicht mehr, herrliches, farbleuchtendes Federvieh (Hühner) und zwei farblich unterschiedliche Katzen von besonderer Anmut. Also, Hänsel und Greten lassen grüßen. An einer nach Westen orientierten offenen Hauswand, in der Nähe des Hühnerstalls, befand sich ein Hasenstall mit mindestes zehn Käfigen, in dem sich Hasen tummelten, hopsten oder langweilten und dahindösten. Je nach Zeitgeschmack. Statt dass der Finger von Genoveva, so der Namen der Hausherrin, uns ihre biologische Befindlichkeit zu verstehen gegeben hätte, in welchem genährten Zustand sie stand, haben wir die Hasen abgefühlt, mehr gestreichelt, welcher Reifeprozess fühlbar war, um das Urteil zur Genusssucht vollstrecken zu können. Durch die Berührung der Tierwelt, die sich uns aufgetan hatte, war die Tragik durch das Prinzip der Nutzung schon greifbar zu Tage getreten. Hunger und Elend ist eben ganz schlimm und treibt zu Angst, Mitgefühl und Schmerzen. Dennoch war unsere humanistische christliche Erziehung so angelegt, dass uns die besondere und zierliche Anatomie der Hasen innerlich dazu berufen hatte, die Türstallverriegelungen so zu manipulieren, ohne das mit berechenbarer Absicht getan zu haben, dass das Bewegungsspiel der putzigen Hasen ausreichte, um den Weg zu einer begrenzten Freiheit möglich zu machen. Das Territorium, in dem sich der Hasenstall befand, war mit einem Gitterzaun begrenzt. Und dieses eingezäumte Feld oder Haushühnergarten war nun Auslauf nicht nur für die gackernde Kultur, sondern auch für manchen Hasenbewohner, der sich in der Freiheit tollte. Ein irdisches Paradies, wie mir schien, wäre das nicht mit der Absicht verknüpft, das Überleben zu sichern.
Ein faszinierender Anblick, dem insbesondere mein lieber Bruder Bernhard sehr zugetan war, was sich aus dieser Geschichte vorstellen lässt. Bernhard hatte allen Grund zu der Annahme, der geschwisterliche Chorgeist könne ihm wegweisend sein, um das bevorstehend Ziel seiner Idee zu erreichen
Obwohl ich in meinem Alter durch die deprimierenden Ereignisse keine analytischen Folgerungen habe ziehen können, wurde die Empfindung, die sich in mir festmachte, im geistigen Nebel zurückgelassen, dass Menschen ganz viel Unheil stiften und nicht bedenken, was sich daraus entwickelt. Solche Verhaltensweisen eleminieren nicht das Recht zur Feststellung:
Entwicklung und ihre Ergebnisse entstehen durch Reibung und kritische Analysen und Stellungnahmen.
Eine liebenswerte Frau namens Genoveva Zapf gab uns mit ihrer gelebten christlichen Nächstenliebe vorübergehend Herberge. In ihrem Eigentum lag das prächtige Fachwerkhaus auf einer Anhöhe von ca. 40 Metern, an der Hauptstraße im Ortskern am Simese, so nannte man den Hügel am Bildstöckel des Heiligen Simon.
Das war die Ortsmitte, die durch den Flusslauf des Reichenbachs als Lebensader Bedeutung hatte. Unmittelbar am Bildstöckel–Heiligenmonument befand sich noch ein Brunnen aus Sandstein, eine Kelter und ein kleines Stauwehr, das durch den Reichenbach gespeist wurde, um die Wassermassen einem Elektrizitätswerk mit zwei Wasserturbinen talabwärts am Ölberg zuzuführen. Schaute ich von diesem Dorfplatz in alle Richtungen, so war ich eingebunden im Atrium einer Zeitepoche, die ich zuvor nie zu Gesicht bekommen habe. Dazu der Ausklang einer sommerlichen Atmosphäre, erfüllt von gewöhnungsbedürftigen Gerüchen. Und dennoch alles stimmend in Harmonie bergbäuerlichen Lebens. Auch die Dorfbewohner waren im Wuchse, in der körperlichen Form, im Ausdruck, in der Kleidung sowie in ihrem Verhalten etwas eigenartig. Nicht unbedingt fremd, aber eigenartig. Das ist das richtige Wort für das, was ich empfand. Insbesondere von unserer Mutter wurden wir fünf Kinder inständig mit einfachen Worten zur Gehorsamkeit instrumentalisiert. Nach der täglichen Hauspredigt immer dieser Abschluss: „Seid schön brav, folgsam und lieb, macht uns keine Schande, wir sind hier zu Gast !“
Bei dieser auffordernden Predigt an uns Kinder glänzten ihre Augen im Wasserbad der Augenhöhle, gestützt durch den Wimpernrand, der den Tränenfluss verhinderte.
Die gütige Frau Genoveva Zapf stellte uns ein brauchbares Zimmer zur Verfügung, welches über dem Hühnerstall und einem Holzschuppen gelegen war. Durch eine Treppe war man zum Haupthaus verbunden, in dem Frau Zapf Parterre wohnte und im Obergeschoss eine Familie Merkel. Wenn ich mich recht erinnere, hatten wir, wenn notwendig, hilfreiche Verbindung. Oft erwies sich die Mitmenschlichkeit von Genoveva im Teilen von dem, was Sie als Nahrung erübrigen konnte, z. B. etwas Milch, warme Kartoffeln, Hühnereier, Brot, etwas Butter und Schmalz, gelagerte Äpfel und etwas Dörrobst für uns Kinder.
Als Kind registriert man die in Sekunden aufgetretene Tragödie nicht in letzter Konsequenz, vielmehr wird sie mit einer Erschrockenheit belegt, die Milderung und Trost findet durch die fürsorgliche Liebe der geliebten Mutter und des geliebten Vaters, durch die Wahrnehmung der Veränderung, dem Neuen, das Staunen über die Verbannung, das bäuerliche Treiben insgesamt, das von fremdartigen Gerüchen durchzogene Ambiente- all dies, was Kinder mit Neugierde erfüllt. Eindrücke, die in der Stille Fragen hinterließen. Diese Behausung sollte für ein paar Tage überbrückend unsere Herberge sein, bis das Armenhaus notdürftig hergerichtet war. Selbst als wir den Unterschlupf verlassen hatten, war die Verbindung zu Frau Genoveva immer in einer menschlichen Liebeswürdigkeit, niemals antwortete sie auf eine Bitte mit einem Nein.
Nachdem mein- unser Vater im Herbst 1944 vom Bombenangriff auf Gaggenau hörte (er weilte zu der Zeit noch in Kiel bei der Kriegsmarine) bekam er Fronturlaub, um seiner nun obdachlos gewordenen, ausgebombten Familie beizustehen. Mein Vater wusste nicht, ob wir das Inferno überhaupt überlebt hatten, nachdem er in Gaggenau ankam und das Trümmerfeld mit Entsetzen wahrgenommen hatte. Er fragte sich durch, ob wir noch lebten, und es wurde ihm mitgeteilt, dass wir Kinder mit einem Kuhwagen in ein Dorf evakuiert wurden. Und so informierte er sich weiter, bis er den Hinweis erhalten hatte, dass wir in Reichental, ca. 30 km von Gaggenau entfernt, aufgenommen wurden. Die Sondierung der neuen Situation hat mein Vater, so wie es mir als Kind erschien, rasch erfasst. Er sagte zu Mutti: „Für jedes Problem gibt es eine Lösung.“
Kaum war er angekommen, ließ er sich unterrichten von den Geschehnissen, die in Sekunden unser Leben verändert hatten.
Tags darauf hatte er im Holzschuppen gesehen, wie sich Frau Genoveva beim Holzspalten mühte. Mein- unser Vater, die Höflichkeit in Person, eilte zur Hilfe und nahm Genoveva das Beil aus der Hand, um die Tätigkeit auszurichten, die für Genoveva so erschwerlich schien. Ich unterstelle meinem lieben Vater, dass ein spekulativer Gedanke in der Hilfsbereitschaft so einbezogen war, dass Genovevas Zufriedenheit dazu führte, meinem Vater weitere Tätigkeiten anzutragen.
Ein knorriger Ast bescherte das Unheil. In der linken Hand der widerspenstige Ast, rechts die Axt, die trennen sollte, was sich nicht erfüllen ließ aufgrund der trockenen zähen Beschaffenheit des Astes, die den Hieb mit dem Beil so zurückfedern ließ, dass die Schneidkante der Axt die linke Hand im Bereich der Pulsschlagader traf und die Daumensehne durchtrennte. Es war Eile geboten. Die nächste Anlaufstelle war das ca. 8 km entfernte Gernsbacher Krankenhaus. Ich weiß nur noch, dass mein Vater das Glück hatte, dass ein Holzvergaser-Fahrzeug aufgetrieben wurde, um Vati ins Krankenhaus zu bringen, wo er von einem persischen Arzt – Chirurgen Dr. med. Rezanour versorgt und behandelt wurde. Penicillin gab es damals nicht, und es musste mit infektiösen Wundnachwirkungen (Blutvergiftung) gerechnet werden. Die Rekonvaleszenz bedingte zunächst zwei Wochen Klinikaufenthalt. Täglich eilte Mutter nach Gernsbach, um nach dem Rechten zu sehen. Nach der stationären Behandlung musste der Verband bis zum Abklingen des Gefahrengrads alle drei Tage gewechselt werden, was 16 km Fußmarsch bedeutete, teilweise mit hohem Fieber. Unsere Mutter versuchte, bei der Dorfbevölkerung Energie zu beschaffen, um das Immunsystem meines Vaters bei Laune zu halten. Und es gelang ihr, diese Nächstenhilfe bei den Mitmenschen im Dorf zu erreichen. Des einen großes Leid, nämlich das meines Vaters und in aufopfernder Begleitung auch das meiner Mutter, und andererseits unser unkontrollierter Zeitgeschmack, der möglicherweise schon lange ausgeheckten experimentellen Erfahrung nachzugehen, die nur in Abwesenheit beider Elternteile ergebnisreich einer Analyse zugeführt werden konnte.
Um das tiefe Verständnis aus wissenschaftlicher Sichtweise erklärbar zu entfalten, sollte angemerkt werden, dass das ausgeprägte künstlerische und technische Talent von meinem lieben Bruder Bernhard (der Knabe war 14 Lenze) sich den Geburtswehen schon in Jugendjahren zum Neuen stellte. Dies bewirkt, was Fantasie, Forschen, Entwicklung, Kreativität, Experimentieren, Erproben, Können und Wollen ermöglicht, nämlich Wissen zu generieren.
Mutter und Vater mussten mal wieder nach Gernsbach wegen Wundversorgung und Verbandswechsel. Bevor der Fußmarsch in Gang gesetzt wurde, bat Mutti die Genoveva, etwas Aufmerksamkeit zu geben über die Kinderlein, 5 an der Zahl. Rasselbande konnte man nicht unterstellen, da wir auch unter dem Kommando von Bruder Bernhard standen. Schwester Ursula war von einer Engelsliebe, die den Folgerungen wenig Zeit und Aufmerksamkeit abverlangte. Eine Puppe, die Mutti noch retten konnte, war der Verweilmotor. Und Frau Genoveva, die am frühen Nachmittag unterwegs war, hatte unser Verhaltensbild so wahrgenommen, dass nichts Auffälliges zu beklagen gewesen wäre. Somit waren wir während der Abwesenheit unserer Eltern artig, pflegeleicht, friedfertig und machten den Eindruck, geduldig auf die Rückkehr unserer Eltern zu warten, die vor dem Abende nicht zu erwarten war.
Mein Bruder Bernhard war immer sehr interessiert daran, inwieweit seine Fantasien, die zunächst rein fragmentarisch in seiner Vorstellung schlummerten, zu einem Lösungsweg gestaltet werden konnten, um das Konkrete zu erhalten. Die technischen Voraussetzungen zur Lösung einer gestellten Aufgabe erfordern das Experiment, um die Summe aller daraus resultierenden Erkenntnisse in ein Realitätskonzept zu fassen, was Jahre später seinen Niederschlag fand in der Entwicklung des Ultraleichtflugzeugbaus, dem mein Bruder Bernhard schon 1944 eine besondere Aufmerksamkeit zukommen ließ.
Ich habe meinem Bruder immer gut zugehört und meine, dass sein Versuch, einen Diskussionsgedanken aufzugreifen, nicht kläglich daneben gegangen ist. Man muss seinen eigenen aufgestellten Prinzipien treu bleiben. Wenn ein Versuch in unorganisierter Weise behandelt wird, muss zwingend davon ausgegangen werden, dass sogenannte wissenschaftliche Ergebnisse mit Zurückhaltung zur Kenntnis genommen werden. Von solch einer Einstellung habe ich selbst in meiner Entwicklung regen gebrauch gemacht.
Eine Zeitung, Packpapier oder auch andere aufgefundene Gegenstände waren, so schien es mir, für Bernhard jederzeit ein dankbares Opfer, sich damit analytisch zu beschäftigen und auseinander zu setzen. Mit Papier schuf er Modelle, startete Versuche, die nicht zu dem Ergebnis führten, wie von ihm ersonnen. Diesen Eindruck konnte man dann haben, wenn er das Versuchsmodell in Windeseile dem Papierkorb oder gar dem Herdfeuer überließ. Er vertiefte sich in solche Handlungen. Ein Außenstehender hatte keinen Zutritt zu dem, was er machte und welchen Zweck das Basteln erfüllte. Ihn trieb die Neugierde, etwas Neues zu erkennen.
Auf Bernhards brüderliche sanfte Bitte hin versammelten wir uns im Zimmer, das uns von Genoveva zugeteilt wurde. Das Zimmer war von einer notdürftigen Bescheidenheit, die mit nichts zu übertreffen war. Ein solches Empfinden resultierte aus den vergleichenden Bildern unserer Wohnkultur, die der scheußliche, vernichtende Bombenangriff auf Gaggenau zunichte gemacht hatte. Noch gab es ein sich gegenseitiges Beäugen mit fragendem und befangenem Ausdruck. Bruderherz bat uns, sich auf dem Fußboden niederzulassen, mit der Bemerkung, er habe eine Idee. Der Begriff Idee entfachte in uns immer ein Leuchtfeuer. Eine Idee war für uns Kinder mit dem Begriff Geheimnis gleichgesetzt und auch so besetzt. Eine Spannung der Erwartung machte sich in uns breit, um zu hören, was Bernhard so im Schilde führte. Er meinte, wir müssten die Flugeigenschaften von Hühnern ergründen, um Schlussfolgerungen ziehen zu können, welche Sinkflugeigenschaften, Landedistanzen und Zeiteinheiten bei unterschiedlichen Belastungskomponenten der Flugobjekte Hühner auftreten würden. Er dozierte sein Idee, als wollte er damit auch ausdrücken, dass das seine weitere Zielsetzung in seiner persönlichen Entwicklung – Berufung sein würde. Ich muss gestehen, ich hatte nichts, aber auch gar nichts von dem verstanden, was er meinte. Gelangweilt knubbelte ich mit meinen Fingern am Holzboden und glaubte, dass dadurch etwas kindlich Sinnhaffes entstehen würde. Aber auch das war ermüdend und ernüchternd.
Wer eigentlich interessierter war, hinter den von Bernhard abgefassten Begriffsfassungen ein logisches Konzept zu vermuten, war mein Bruder Hans, der schon vor der Bombardierung für manche Gleitflugexperimente in einer Lehmgrube in Gaggenau zur Verfügung stehen musste.
Bruder Hans, 9 Jahre alt, fragt dann Bernhard „Und wo bekommst du die Versuchshühner her?“ Bernhard meinte als Antwort: „Langsam Brüderchen. Schau aus dem Fenster, der Tisch ist reichlich gedeckt.“ Wir wohnten in einem Zimmer über einem Hühnerstall, in dem 10 Stück rostbraunes Federvieh unter dem resoluten Auftreten einer Hühnergockel-Autorität ihr eierlegendes Dasein fristete.
Bernhard mahnte zur Aufmerksamkeit und schaute mit geübtem Blick, welche Konzentration aus den brüderlichen Augen reflektiert. „Ihr…“ (er meinte seine Brüder) „…müsst gut zuhören, was von jedem erfüllt werden muss, um das Experiment erfolgreich abschließen zu können.“ Seine Worte waren eindringlich, einfach, technisch verständlich, aber – ja befehlsartig. Ich musste gestehen, und dies nicht nur bei mir, sondern im brüderlichen Kreise, die Gefasstheit hatte Konturen angenommen. Wir empfanden die Konturbetreibung eher als eine bedrohliche Verhaltensmaßnahme. Um das brüderliche Gehorsamsbild im Kreise der offenen Mundpartien verständlich zu machen, entwickelte sich aus dem Umstand intuitiv: man tut gut daran, eine unverkrampfte Einstellung zur Sachproblematik zu haben. Den Gehorsam, den mein Bruder Bernhard in den Gesichtsmasken seiner Geschwister erwartete, war nicht in jeder Minute seiner Leitgedanken von uns zu erwarten.
Bernhard hatte ein Art Checkliste erstellt, in der die einzelnen Schritte zur Erfüllung flugtechnischer Eigenschaften von Stallhühnern festgehalten wurde. Jeder der Brüder hatte seine Aufgabe genannt bekommen, die im weiteren Verlauf der Bodensitzung in Schneidersitzposition konkretisiert wurde. Bernhard mahnte an, dass alles nur reibungslos und ablaufmäßig funktionieren würde, wenn wir Schritt für Schritt so vorgehen, wie er das vorgetragen hatte. Dabei vergaß er nicht, immer wieder andeutungsweise die Aufgabe an seine Brüder zu delegieren. Er musste sich also mit diesem Experiment schon längere Zeit befasst haben. Er hatte die Aufgaben so vereinfacht, dass das Hirn von seinen wesentlich jüngeren Geschwistern nicht überfordert wurde, also nach heutigem Gesichtpunkte keinen Stress oder gar Burnout verursachen konnte. Die damalige Gesellschaft kannte diese Modeentwicklung nicht. Nicht einmal im Ansatz. Keinerlei Tendenzen gab es. Das karge Überleben für solche in unserer Zeit selbst verursachte, gar liebgewordene Verhaltensbiographie kannte man nicht und hatte auch keinen Platz. Der medizinische Entwicklungsstand beschäftigte sich mehr mit dem Bauchgefühl, als mit der Psyche von sich überschätzenden Figuren.
Zunächst kam Bernhard auf die räumlich archaische Beschaffenheit unser Herberge zurück, die er gründlich durchforstet hatte. Wann diese Hausexkursion vollbracht wurde, kam nicht zutage. Wenn ich mich recht erinnere, waren wir im Tagesablauf uns selbst überlassen. Es gab sehr wohl Verhaltensrichtlinien aus dem erzieherischen Gedankengut heraus, insbesondere mit dem ernst gemeinten Hinweis, alles zu unterlassen, was in diesem Ort störend empfunden oder ein ungeschicktes schattenbehaftetes Bild auf die Familie werfen könnte. Wir waren Verlierer, wir hatten alles verloren, was in einer Lebensexistenz erworben wurde. Deshalb standen wir auch unter besonderer Beobachtung, also war es wichtig, menschlich sauber zu bleiben.
Wir Kinder konnten uns sozusagen ungehindert sachkundig machen, was so als Kind möglich war. Informationen sammeln über Häuslichkeiten, Räume, Gänge, Treppen und Balkone. Da unser Entwicklungsstand von Eindrücken aus einer modernen, fortschrittlichen Industriestadt geprägt war, und nun plötzlich der Kontrast einer archaischen, pittoresken, bäuerlichen Umgebung den Tagesablauf bestimmte, führten bezaubernde Eindrücke, gerade für Kinder, in das Schlaraffenland der Neugierde. So war es nicht verwunderlich, dass Bernhard die gleiche Feststellung wie seine Brüder gemacht hatte und meinte, da gäbe es ein Dachjuchhee, das er als Startrampe für die Flugversuche sehr günstig wie nützlich und als ausreichend festgestellt habe. Er, Bernhard, werde von der Dachluke aus das Experiment wagen.
Die Dachluke wurde tagsüber erhellt durch ein Giebelfenster, das sich architektonisch harmonisch in die Fachwerkkonstruktion einfügte. Die durch das Giebelfenster beabsichtigte Lichtquelle berücksichtigte nicht im weitesten eine Norm von ausreichender Helligkeit. Aber das spielte auch gar keine Rolle. Einfach eine Startrampe, eine zeitlich begrenzte Unterkunft, ein Liegeplatz für Hühner, die dem natürlichen Lebensverhalten des Federviehs zwar nur teilweise entsprach, dennoch aber nicht unbequem war. Biologisch lagerbar. Bevor das Flugexperiment an Realität gewann, sollte noch erwähnt werden, dass, wenn ich mich recht erinnere, wir im Tagesablauf, solange unsere Eltern im Krankenhaus waren, nur unter Kontrollmomenten durch Frau Genoveva, uns selbst überlassen waren. Und Genoveva war den kindlichen Intrigen, Geistesblitzen, spielerischen Täuschungen und Ablenkungsmanövern nicht gewachsen. Aber lieb und herzlich war Genoveva.
Nachdem wir geduldig, aber mit Erwartung dem großen Bruder weitere Aufmerksamkeit schenkten, wandelte er seine Checklisten in Zuordnungen. Er sagte: „Wir müssen uns umsichtig, artig, lautlos und diszipliniert verhalten.“ Das waren immer seine mahnenden Worte. Der Grund, warum er diesen Appell immer an uns richtete, konnte nur darin bestanden haben, dass er eigenes Gedankengut seiner Brüder aus dem Projekt fern halten wollte. Keiner von uns hatte auch nur die Spur von Rebellion von sich gegeben. Vielmehr waren wir gespannt, was da Wichtiges, Geheimnisvolles als Beitrag zum ganzen Projekt beigesteuert werden konnte. Im Rahmen unserer Möglichkeiten entsprachen wir dem Gelöbnis, artig und vertrauenswürdig zu sein. Bernhard hatte uns vergattert, niemandem etwas davon zu erzählen. Auch dann nicht, wenn ein kritisches Verhör hereinbrechen würde oder gar eine nahrhafte Bestechung drohte. Wir hatten ja Hunger wie Löwen, die schon Tage keine Beute gemacht hatten. Ein Stück Brot war ein Verführungspotenzial erster Klasse. Er, mein Bruder, hatte sich nochmals mit der Qualität eines brüderlichen Schwures belegt und uns dabei mit zielorientiertem Blick ins Visier genommen.
Nicht unberechtigt war eine solche Gesichtskontrolle, denn sie ließ erkennen, in welcher Verfassung das Vorgetragene aufgenommen wurde. Teilnahmsloser, augenrollender, zur Zimmerdecke schlaftrunkener Blick berechtigte Bernhard, wenn solches Verhalten sichtbar war, sich etwas zu sorgen, was das Gelingen des Experiments in der Abwesenheit der Eltern und Genoveva betraf.
Es war ein sonnendurchwebter, nur leicht bewölkter Tag, gute Sicht, morgens 10 Uhr, als die Vergatterung zum Projekt „Aerodynamisches Verhalten von eierlegenden Hühnern“ zur Umsetzung gebracht wurde.
Die Checkliste wurde nun eröffnet. Im Schuppen unter unserem Zimmer, welches auch den wohnlichen multidisziplinären Wohnbereich abdeckte, gab es Seile, Henkelkörbe aus Weidegeflecht (Zeum), einen schweren Hackklotz und andere Gerätschaften in ausreichender Zahl. Was aber gebraucht wurde, war nur ein Seil von einer Länge von ca. 10 Metern und ein solider Weidekorb mit zwei Henkeln. In diesen Korb sollte sich Bruder Klaus bequem hinein setzen können.
An den beiden Henkeln des Weidekorbs wurde das 10 Meter lange Gabelseil derart befestigt, dass Bruder Klaus, 8 Jahre, eine stabile Sitzposition im hängenden Zustand einnehmen konnte und sich, wenn erforderlich, am Korbrand festhalten konnte. Diese Hängepartie war erforderlich, um die Aufgabe erfüllen zu können, aus dem unter dem Notzimmer befindlichen Hühnerstall von oben einzutauchen, Klaus abzusetzen und die Hühner aufzugreifen und gefangen zu nehmen, ohne allzu großes lauthals hysterisch Gackerndes entstehen zulassen. Der Hühnerstall war abgeschlossen, so dass zur Begrüßung der Hühner nur von oben Einlass in den Stall möglich war. So war der Plan. Klaus stand dieser Übung sehr aufgeschlossen gegenüber. Keine Frage, nur geduldiges Warten auf den Einsatz.
Dieser Abseilungsprozess musste fünf Mal erfolgen, weil nur zwei Hühner auf einmal unter einem Tischtuch, das Bernhard am Korb befestigt hatte, in gemütlicher Lage lautlos zu bändigen waren, um sie dann nach oben in unser Zimmer zu hieven. Zunächst wurde ein Probelauf durchgeführt, um zu erkennen, ob Klaus zum Einen unzumutbaren Pendelbewegungen ausgesetzt war, zum Anderen, ob die Zugkraft von Hans und Bernhard für das Lifttransportmittel ausreichte, den Klaus zwei mal (runter und rauf) und die Hühner fünf mal zielorientiert folgen zu lassen. Dieser Versuch war sehr hoffnungsvoll. Nichts hatte Anlass zur Besorgnis gegeben, das Experiment scheitern zu lassen. Umgekehrt, es wurde ein Schuh daraus. Die Euphorie des Gelingens trieb Blüten.
Bernhard verdonnerte Bruder Hans und mich zu folgender Aufgabe: Er ging mit uns auf die Hauptstraße, zum Bildstöckelplatz und besprach dezidiert die Aufgabe. Bernhard meinte, wenn ein Huhn startklar ist, wird er dort oben (er zeigte zum Giebelfenster) ein kleines Tuch in die Hand nehmen und mit der Armbewegung nach unten den Start des Huhnes in Gang setzten. „Ab dieser Handbewegung musst Du, Hans, von eins in Folgerichtung zehn zählen und Dir die Zahl merken, wenn das Huhn mit den Beinen auf dem Boden aufkommt.“ Auf einem Kartonpapier hatte Bernhard eine Tabelle gezeichnet mit Position 1 bis 10; daneben, Schritte von der Mauer zur Straße und Bildstöckelplatz, die Schrittlänge von Bruder Hans war der gewöhnlichen Tagesform zugeordnet, sowie gezählte Zeit (1+2+3+4….) vom Start bis Landung. Er paukte es in unsere Köpfe ein, damit der Test nicht vergebens sei.
Wenn die Hühner am Boden ankommen, muss der Landungspunkt mit der Person Günther markiert werden, Hans stellte wie gefordert mit Schritten die Distanz von der Mauer bis zum Landepunkt fest und schrieb die Parameter in die von Bernhard erstellte Tabelle ein. z. B. Pos. 1: 8 Schritte und die Zahl 5 = 5 Sekunden. Eine weitere Achtsamkeit wurde uns beiden, Hans und mir, zugewiesen, dass alles getan werden sollte, dass die Hühner weder in den Bach noch in Richtung Backofen segeln durften. „Nach der Landung und dem Aufschreiben der Parameter müssen die Hühner sofort in unser Notzimmer zurückgebracht werden.“ Als wir für diese Aufgabe erneut sensibilisiert wurden, hatte Bernhard uns gebeten, nochmals ins Zimmer zu kommen. Wir machten uns gemeinsam auf den Rückzug, doch im Bereiche des Hofes, der zum Bauernhaus gehörte, wich Bernhard von der üblichen Wegstrecke ab, signalisierte, dass wir uns ins Haus begeben sollten, während er in Richtung des Kellers von Genoveva steuerte. Warum blieb uns vorerst verschlossen. Es dauerte nicht lange, nicht mehr als zehn Minuten, und er war im Blickfeld des weiteren Geschehens. Dort aufrecht stehend, um sich blickend, in den zum Gefäß stilisierten Händen Kartoffeln, sechs an der Zahl. Er organisierte 3 verschiedene Größen und zwar fast gleiche Paare, also 3 x 2 fast gleichgroße Kartoffeln. Die größte Kartoffel entsprach etwa der von einem Ei und die weiteren waren kleiner. Mit gelöster Mine kam er ins Zimmer, setzte sich mit einem von Mutters Nähkästchen entliehenen Zwirnfaden und Stopfnadel auf den Boden. Er gestikulierte eindringlich, womit er uns, die herumstanden, dazu aufforderte, ebenfalls seine Sitzhaltung einzunehmen. Nur Hans bat er, ein Küchenmesser aufzutreiben und ein Stückchen Tannenholz abzutrennen von einem Brettchen, das sich in einem Holzkorb in der Nähe des im Zimmer stehenden Kanonenofens befand. Hans tat, was gesagt wurde, und Bernhard vertiefte sich in seiner Absicht, nämlich der Kartoffel so zu Leibe zu rücken, um die Kartoffeln als Zusatzbedingung für die Hühnerflüge zu präparieren. Er nahm die Stopfnadel, fädelte den Zwirn ein und durchstach mittig die Kartoffel so, dass am unteren Teil des Fadens eine Quersperre mittels Holzstückchens befestigt war, die verhinderte, dass die Kartoffel sich von dem Faden lösen konnte. Am anderen Fadenteil wurde eine Öse gebunden, die es möglich machte, eine Schlinge um die Hühnerklaue so zu legen, dass auch hier kein Abrutschen möglich war. Bei dieser Präparation wurde für uns, dem Kinderclan, erstmalig die tiefgehenden Versuchsgedanken unseres Bruders spürbar, ohne den physikalischen Hintergrund verifizieren zu können. Ein rein intuitives Empfinden, nicht mehr, durchflutete zumindest meine Adern. Es genügte ihm nicht, nur den reinen Flug der Hühner zu erkundschaften, sondern er untersuchte auch die Tragfähigkeit der Hühnerflügel, und dies unter minimal verschärfen Bedingungen. Diese Gewichtszunahme bzw. Zusatzbedingung, die die Tragfähigkeit der Hühnerschwingen und deren Stabilität zum Fluge erkunden sollten, war ihm wichtig zu erfahren; wenn auch nur optisch. Er präparierte die Kartoffel, und alles ging sehr zielbewusst voran. Was sehr beachtet werden musste, war nun das Verlassen der Genoveva sowie der Mitbewohner, die meist alle zu einem gleichen Zeitpunkt das Haus verließen, um auf den steilen, sehr steilen Feldern das Tagewerk zu bestellen. Nach 12 Uhr war es soweit, der Countdown konnte in Gang gebracht werden. Um diese Zeit war das Dorfgeschehen in einen Tiefschlaf gerückt. So könnte man das nennen, wenn die Arbeit auf dem Felde ruft. Nur das 12 Uhr-Geläut gab der Verträumtheit des Ortes seinen Segen. Für uns als Tatwillige war es profitabel, den vermeintlichen dörflichen Ruhestand zu nutzen, um kein Aufsehen zu erregen, was die Diasporaleute Befremdliches auszuhecken gewillt waren. Das war wohltuend.
Die Genoveva polterte die Treppe hoch in unser Zimmer und predigte das Artigsein in ihrer Abwesenheit. Unser frommer, teilnahmsloser, vom Hunger gezeichneter blasser Gesichtsausdruck bestätigte ihr Verlangen mit dem segensreichen Hinweis auf meinen Bruder: „Langer“ (mein gewachsener Bruder), „pass auf Deine Geschwister auf.“ „Ja, ja, alles ist gut“ war die Rückkoppelung. Und Genoveva ging ohne Gepolter von dannen. Ursula, unsere liebe kleine Schwester, war die ganze Zeit seelenruhig mit der Puppe beschäftigt, die meine Mutter aus dem brennenden Haus nach dem Bombardement gerettet hatte. Und diese humanisierte Beschäftigung sollte Sie über den Test hinaus noch wahrnehmen.
Kaum hörte Bernhard die Haustür von Genoveva zuschlagen, schon flitzte er den hölzernen Balkon entlang zur Straßenseite, um den Bewegungsfortschritt von Genoveva zu verfolgen, bis sie aus dem Blickfeld entschwunden war. Nun begannen die Erfüllungsschritte der Aufgabe, dem Experiment, weiteres Leben einzuhauchen.
Bernhard und Hans gingen fluchtartig die Treppe hinunter zum Hühnerstall, um sicherzustellen, ob der Hühnerstall tatsächlich abgeschlossen war. Mit einem Handgriff hatte sich eine Hoffnung zerschlagen. Danach griffen sie den unter dem Balkon abgesetzten Weidekorb und das Seil auf, brachten die Dinge ins Zimmer und befestigten das Seil an den Henkeln des Weidekorbs. Hans und Bernhard begaben sich nun auf die Tischplatte und baten Klaus, seine Position im Korb einzunehmen. Danach wurde Klaus zur oberen Tischkante hochgezogen und das ca. 4 – 5 mal. Ergebnis: Die Zugkraft der Korbkonstruktion ist ausreichend funktionstüchtig. Nichts dem Zufall überlassen. Nochmals einen prüfenden Blick auf das nähere Umfeld, und schließlich wurde Klaus mit seiner Aufgabe in den Hühnerstall abgeseilt. Das unerwartet Vorteilhafte war, dass sich die meisten Hühner 12 Uhr mittags in der Dachbehausung, also dort, wo das Eierlegen seinen Anfang und Ende nahm, gemütlich, sorgenlos eingerichtet hatten. Klaus hatte ja die Order, ohne die Eintracht der Hühner sonderlich zu stören, behutsam die wunderschönen Hühner in ihrem pittoresken Federkleid örtlich zu verändern. Klaus, der zunächst das schlafende Gefieder in der Nähe des Legestalles ausmachte, signalisierte Bruder Bernhard, dass Eier in den Nestern, 4 in der Reihe, zum Abholen wären. Bernhard meinte: „Lass die Eier, ich will die Flugobjekte!“ Der Hunger stellt Weichen, die von der eigentlichen Wegstrecke ablenken, was Bruder Bernhard im Kalkül hatte. Sein strammer Ausdruck „ich möchte die Hühner“ war die Rückbesinnung für Klaus, was die eigentliche Aufgabe war. Bernhard hatte Hunger auf Erkenntnisse, nicht auf Eier. Während Bruder Klaus ergriffen und begriffen war, sich des schlaftrunkenen Gefieders zu bemächtigen, gab es plötzlich und etwas unerwartet, abseits des Legestalls, ein solidarisches Hühnergegacker in einer geradezu pathologischen Hysterie, die als wenig geübt sich hören ließ. Noch kam es nicht zur Hühner-Polyphonie. Die Mehrstimmigkeit aus den Kehlen oder Hälsen von 10 Kreaturen, dazu der Gockel als Muezzinconductor hätte schon als Alarmsignal auch arbeitende Bauern von Felde gerufen, um nach den Seelenheil zu schauen. Eine Tagesinszenierung, die Klaus fast infizierte, sich in diese Dynamik einzubringen.
So hatte sich dennoch das Aufgreifen der Hühner auch zeitsparend und ohne wesentliches Hühnergeschrei vollziehen können. Vielleicht hat auch der eine oder andere Hase, der die Freiheit im Grasfeld genießen konnte, dazu beigetragen, einen Waffenstillstand zu bewirken. Bruder Klaus profitierte davon. Mit wenigen Handgriffen und gleichzeitigen kindlichen Liebkosungen und tröstendem Gesumme war der erste Korb schnell mit drei Hühnern bestückt. Ähnlich dem Max und Moritz-Attentat auf die von Witwe Bolte zubereiteten, mundgerecht gebratenen Hühner hievte Bernhard und Hans das Ungebratene am hintersten Fenster ins Zimmer und die Lebenslust der Hühner wurde aus der mittäglichen geborgenen Müdigkeit entführt. Dann das reale, das erste Hochziehen mit den Hühnern. Erstaunlicherweise ging das ganz gut über die Bühne. Die Hühner, so war der Eindruck, bekamen der neuen Atmosphäre angemessen geschuldet ihren Adrenalinstoß pur. Nervosität gekennzeichnet durch hektisches Laufen und ungezielte Flatterübungen. Vom Boden auf die Stühle, auf die Betten, auf den Tisch, auf den Schrank und überall, wo sich die Gelegenheit bot, sich niederzulassen. Hühner-Zickengehabe wie bei uns Menschen.
Natürlich war das Hühnertemperament nicht ganz auszuschalten, was sehr deutlich wurde, denn die fremde Umgebung in dem Notzimmer sagte auch den Hühnern nicht zu, vielmehr schaffte die Umgebung Unbehagen, und sie empfanden diese als nicht artgerecht. Ausdruck dieser Missbilligung drängte zum Unwillen, den Ausscheidungsprozess längst verdauter Körner in Gang zu setzen, die unappetitlich im Zimmer ihre störende, geruchsintensive Niederkunft fanden. Im ersten Moment war Bernhard etwas konsterniert, aber nicht besorgt. Denn wir hatten genug Zeit, dass unser brüderlicher Kreis fähig und in der Lage war, die Wiederherstellung verunreinigter Zimmerbestandteile, die uns sowieso nicht gehörten, dem Reinigungsprozess zu unterwerfen, der jederzeit eine prüfende Qualitätssichtkontrolle anstandslos ermöglichte.
Nach fünfmaligem Seilziehen mit Weidekorb und Hühnern versammelten sich zehn Kreaturen im bescheidenen Notzimmer. Und Klaus hatte seine Sache sehr gut gemacht und konnte wieder an Deck gehievt werden. Erstaunlicherweise ging das ganz gut über die Bühne. Das Tohuwabohu der neuen, zeitlich begrenzten Mitbewohner in unserem Notzimmer erweckte das Gemüt meiner lieben Schwester. Sie kümmerte sich auf dem Boden dahin schleichend um die herrlichen Geschöpfe. Eine gewisse Fremdheit zwischen Kind (meiner Schwester) und dem etwas unruhigen, temperamentvollen Federvieh veranlasste Bernhard zur Rücknahme meiner Schwester. Dennoch stellte auch ich den Mitleidsblick aus den verwunderlichen Augen meiner Schwester fest.
Kaum waren die Hühner im Zimmer versammelt, wurde Klaus damit beauftragt, die Hühner je nach Startzeitpunkt und Bernhards Anweisung sehr behutsam in das Dachjuchhe zu bringen und zwar so, wie Bernhard es vorgestellt hatte. Das Huhn hatte in einem Brotkörbchen Platz zu nehmen, darüber wurde ein Hemd gestülpt, um dem Huhn die Orientierung zu nehmen. Die Ausgangssymbolik, das Hochbringen der Hühner durch das von Bernhard dargestellte Beispiel, war sehr passend und unbeschwerlich. Die Treppe über dem Hausgang hoch in das Dachjuchhe war ausreichend, um das Experiment ungestört und ohne Hindernis starten zu können.
Bernhard ging voraus. Hans und ich gingen, wie von Bernhard angezeigt, etwas schüchtern, ja verlegen, mit hängendem Kopf auf die Straße am Bildstöckel und schlenderten hin und her mit dem verdeckten Blick zum Giebelfenster. Bernhard sagte, dass er das Giebelfenster öffnen und mit einem Lumpen Stoff signalisieren würde, dass die aerodynamischen Untersuchungen eingeleitet werden. Die Reihenfolge der Hühner war wie folgt angelegt:
1. Huhn in natürlicher Konditionierung
2. Huhn mit einem kleinen Kartöffelchen rechts am Beinchen
3. Huhn mit zwei kleinen Kartöffelchen rechts und links am Beinchen
4. Huhn in natürlicher Konditionierung
5. Huhn mit zwei größeren Kartöffelchen rechts und links am Beinchen
6. Huhn mit dem drittgrößten Kartoffelsegment rechts und links am Beinchen
7. Huhn mit zwei kleinen Kartöffelchen rechts und links am Beinchen, Wiederholung
8. Huhn in natürlicher Konditionierung
9. Huhn 9 und 10 wurden nicht mehr gestartet – Abbruch der Versuche aus
Gründen der Huhn-Verunfallung
Hans saß auf dem Mauerrand vom Bildstöckelplatz und wartete auf das Signal. Kaum hatte er Platz genommen, schon kam der Lumpen zum Vorschein und unverzüglich das Huhn. Es war sehr schön anzusehen, wie das Huhn zum wunderbaren, fast ohne Flügelschlag, Gleit – Sinkflug ansetzte und es auf der zu erwartenden Straßenseite sanft aufsetzte. Erst kurz vor der Landung setzten wenige kräftige Flügelschläge ein, um dem sanften Landen nichts entgegenzusetzen. Ich blieb wie verheißen an der Stelle der Landung, dem Aufsetzen, stehen. Verhalten und in angenehmer Ruhe ließ sich das Huhn in die Hand von Hans nehmen und nach oben ins Zimmer bringen. Das Ergebnis dieses Fluges war einfach toll. Ich hatte erhabenes Gefallen gefunden. Alles verdichtete sich in ein spannendes, ja fröhliches Erleben. Danach unser Auftrag zur Qualitätsmessung, wie vereinbart. Es waren von der vorbestimmten Messmauergrenze bis zum Landepunkt ca. 40 Schritte = ca. 29 Meter und von der Begrenzungsmauer bis zur senkrechten Wand des Giebelfensters waren es ca. 12 Meter, insgesamt 41 Meter. Die Sinkflugzeit betrug ca. 6 Sekunden, wenn Hans vor lauter Staunen das Zählen nicht außer acht gelassen hatte. Bei der Auswertung der Zeitangaben fragte Bruder Bernhard Bruder Hans immer wieder: „Stimmt das auch, oder hast du zwischenzeitlich auch mal Luft geholt?“ Hans gab darauf als Antwort: Achselzucken.
Und wieder hatte sich der Lappen bewegt, der den zweiten Testversuch ankündigte. Dieser Flug war nicht mehr so ruhig wie der ohne Zusatzbedingungen. Ein korrigierendes Flattern zur Austrimmung der Flugachse war deutlich, aber in einem Rahmen, der die Flugtauglichkeit dennoch gewährleistete. Was aufgefallen war, dass die Flugweite mehr als 43 Meter betrug, aber in fast der gleichen Zeit. Vielleicht hing dies zusammen mit der hohen Flügelschlagfrequenz. Der weitere Flug Nr. 3 war flugstabiler als Nr. 2. Lag es an veränderten Windverhältnissen, dadurch besserer Auftrieb, oder auch an der naturbelassenen biologischen Ausrüstung des Huhns selbst? Das konnte nur vermutet werden. Seine strenge Analyse zum Flugverhalten folgte nur dem, was er selbst nachweisen, beobachten und aufspüren konnte.
Zwischenzeitlich hatten sich Zuschauer eingefunden, indem sie ihre Kuhwagen anhielten, um die Himmelsakrobaten unter Beobachtung zu nehmen. Auch bei diesen von Fleiß gezeichneten Leuten war das Experiment fliegender Hühner nicht nur ein himmlisches Erleben, sondern auch technisch biologisches Neuland. Sie reckten in alle Richtungen Ihre Hälse, um nichts zu verpassen. Die Hühner von Genoveva sind über Ihre Köpfe geflogen, nein, traumschön gesegelt, als wollten sie verständlich machen, was ihnen in den drahtummantelnden Gefängnissen tagtäglich gestohlen wurde: „Die Freiheit“.
Das experimentelle Ritual zur Erforschung der aerodynamischen Flugeigenschaften von Hühnern unter Zusatzbedingungen wurde bis zum 6. Versuch durchgeführt und danach wieder mit reduzierten Zusatzbedingungen bis 7 und 8 weitergeführt. Der Ikarusflug von Huhn Nr. 6 und seine Folgen hatte Bruder Bernhard veranlasst, nur noch das zu wiederholen, was sehr gut funktionierte, gelungen war und dieses Ergebnis verfestigte.
Der Experimentalflug-Nr. 6 endete tragisch durch plötzliche Fluginstabilität und durch das Hindernis einer Mauer, die die Landung ungünstig und unharmonisch werden ließ. Die Wissenschaft, die Forschung, technisches Neuland und Fortschritt, leben nicht ohne Opfer. Selbst heute gilt dies, in einer hochtechnisierten Welt, siehe Raumfahrt und ihre Katastrophen, z.B. Challenger 28.01.1986; 7 Personen nach 75 Sekunden kamen zu Tode, um die Qualität eines Dichtwerkstoffs unter Betriebsbedingungen zu erfahren. Und der Fortschritt im Straßenverkehr? Jedes Jahr vermitteln uns Tausende von Menschen durch ihren Tod, was Fortschritt bedeutet und welche Erkenntnisse wir daraus ziehen. Ja welche? Keine – nur weiter so.
Nach Flug 6 kam es zum Abbruch der Testreihe: der durch Gravitation wesentlich verursachte Anteil hatte Unbehagen ausgelöst, was nun zu tun sei, um das Opfer so würdevoll zu behandeln, dass zunächst eine unwissentliche Entlastung gegeben werden konnte, wenn Genoveva der Gewohnheit folgend am darauffolgenden Morgen das Eierkontor beäugen und erkennen würde, dass neben dem Legenest ein herrliches Hühnchen als bekennendes Engelchen die Reise zu den himmlischen Heerscharen angetreten hatte. So war unser, vielmehr Bernhards Entschluss, dem Huhn eine solche würdevolle Verabschiedung als verdienstvoller Pionier der Ultraleichtbauweise glorreich zukommen zu lassen. Dieses Huhn hatte sich um die Wissenschaft verdient gemacht und ist uns bis heute in treuer Erinnerung geblieben. Das Monument in unserer Seele.
Es war uns trotz Hungern nicht vergönnt oder gar eingefallen, den Kochtopf zu präparieren, um dem Hühnchen die Möglichkeit des besten Geleits zu geben, uns Geschwistern den Dienst in seinem nun himmlischen Dasein nochmals zukommen zu lassen. Ich meine, es mangelte auch an Erfahrung und Rezepturtalent, uns des Huhnes letzten Dienst zu bescheren.
Wir beendeten die Tests soweit erfolgreich, mit der Hingabe, die Hühner, die sehr verhalten im Zimmer Platz genommen hatten, in ihre Region, den Hühnerstall, zurückzuführen und das Verhalten mit dem Gockel zu beobachten. Es muss erwähnt werden, obwohl Nachmittagszeit war, in der wir den Hühnern habhaft geworden sind und letztlich der Gockel alleine im Hühnerstall seine Kreise zog, tönte dieser mit einem mächtigen, geradezu permanent aufrührerischen Krähen seinen Unmut, Protest um seine ausgesetzte Tagesfreude hörbar zu machen.
Es war, wie uns später von einem Verhaltensforscher verständlich gemacht wurde, dem Leittier seine biologische Kompetenz abzusprechen. Genau das wollten wir nicht. Da unterschieden wir uns trotz großer Hungersnöte von Max und Moritz. Der Fortschritt begründete sich nicht auf das Bauchgefühl, vielmehr auf das Wissen.
Zusammenfassend ist festgestellt: Als meine, unsere Eltern am Abend zurückkamen, waren Hahn = Gockel und Hennen wieder im Stall vereint und schliefen fest. Ein Huhn schlief für immer fest. Erst nach einigen Tagen, als die liebe Genoveva Zapf das Gelege erwartete, war klar, dass die Flüge, von denen sie nichts wusste, den Hühnern nicht sehr bekommen sind, und die Genoveva Zapf konnte sich kaum erklären, wieso legefleißige Hennen plötzlich und unerwartet das Eierlegen nicht mehr betreiben. Es konnte nicht erfahren werden, ob und wie das verschiedene Huhn von Genoveva aufgenommen wurde. Wenige Tage nach den aerodynamischen Tests sind wir ins Armenhaus umgezogen. Für Bernhard war der Flug dieser Hühner eine unvergessliche Bereicherung und Erfahrung geblieben. Die wunderschönen Tiere breiteten sofort nach dem Abflug ihre Flügel aus, wölbten diese nach unten wie zwei geöffnete Fallschirme und nutzen geschickt die Aerodynamik ihres Gefieders. Zwischen ihren Flügeln pendelten ihre schweren Körper und steuerten jede kleinste Instabilität. Die Zusatzbedingungen, die das Flugsystem des Huhnes beeinträchtigten sollten oder auch nicht, konnten nicht wie erhofft als flugtechnisch vorteilhaft erkannt werden. Das Eigengewicht des Huhnes und die Proportionalität der Flügelkonstruktion stehen nicht in dem Verhältnis, dass ein positiver Richtwert durch Zusatzbedingungen zustande käme.
Die bemerkenswerteste Beobachtung war aber die, dass die Hühner immer wieder hinüber über die Straße zum Backofen flogen: sie flogen dort hin, wo Hans und ich sie in Empfang nahmen. Es machte den Anschein, als hätte ihnen das Fliegen und das mit uns gefallen. Wären es Wesen ohne Verstand gewesen, hätten sie genauso gut auf der Dorfstraße oder unmittelbar vor dem Haus landen können. Oder sie wären abgebogen und wären vor dem Kolonialwarengeschäft gelandet. Noch schlimmer, sie wären in den Bach geflogen.
Welch ein Genuss, so die Stimme eines knurrenden Magens in dieser erbärmlichen Zeit 1945 – 46.
Dank eines solchen Tests, der den Ultraleichtbau in seiner Entstehungstechnologie ähnlich befruchtete wie die Flugapparate des Schneiders von Ulm (Albrecht Ludwig Berninger), konnte es nicht ausbleiben, dass es geboten war, mit den natürlichen Mitteln, die von einer Henne ausgeschieden worden sind, der Erkenntnisertüchtigung die Anerkennung zu kommen zu lassen.
Anlässlich der Beisetzung meines geliebten Bruders Bernhard, der 2013 verstorben ist, wurde diese Geschichte als Erinnerung vorgetragen und staunend von den Zurückgeblieben aufgenommen.
Das Rezept
REZEPTUR FÜR SAURE RÜBEN
In dem Hause der Genoveva, wo auch die Versuchsobjekte = Hühner beheimatet waren, lagerten im kühlen Kellergewölbe über den sehr strengen Winter hinweg haltbar gemachte Köstlichkeiten, die meine Mutter zuvor nicht kannte (außer Sauerkraut). Je nach Gutmenschstimmung, und das war bei Genoveva nichts ungewöhnliches, profitierten wir alle von dieser menschlichen Eigenschaft in der Weise, dass Genoveva, wenn sie selbst dem Hunger nicht trotzen konnte, sich in das Reich des Kellers begab, um sich das Mittagsessen aus dem Zuber – Lagerbestand zu holen. Dabei dachte sie auch an uns und praktizierte die Nächstenliebe in vorbildlicher Weise, indem sie uns eine ausreichende Portion je nach ihrer Kochabsicht und Zubereitung zukommen ließ. Wenn Genoveva diesen Kellergang wöchentlich machte, verrichtete sie einen 5teiligen Arbeitsgang für die herrlich konservierten Gaben des Sommers, um die Hygiene und Appetitgenuss nicht in Frage zu stellen. Und wenn dieser wichtige Qualitätssicherungsakt bei Genoveva in Angriff genommen wurde, so konnte derjenige, der ein besonders geruchempfindliches Organ entwickelt hatte, wie zum Beispiel Jean Baptiste Grenouille, den Grad der noch Brauchbarkeit des Vergorenen verifizieren. Nicht immer konnte man das Mischungsverhältnis der bäuerlichen Düngemittel aus den Stallungen mit der Duftnote eines Konservierungsprozesses durch Milchsäuregewinnung individuell zuordnen aufgrund der verstärkten Konzentration von Aromen und Ingredienzien, die sich durch Verweilzeiten wo auch immer exponierten. Wichtig könnte sein, die Herznote dieser Naturprodukte von eigenwilligen Parfums erfahren zu haben.
Durch eine natürliche Gärtechnik entsteht Milchsäure, wo dann in einem Eichenzuber oder Steinfass Weißkraut, Weißrüben und grüne blanchierte Stangenbohnen zu Sauerkraut, sauren Rüben und sauren grünen Bohnen konserviert werden. Diese natürliche Konservierung wird schon seit dem 13. Jahrhundert, insbesondere im Elsass angewandt.
Alle hier genannten Produkte, wie Sauerkraut, saure Rüben und saure grüne Bohnen, die auf dieser natürlich basierenden Konservierungserkenntnis fruchten, sind in einer erlesenen Küche niemals mehr wegzudenken. Eine Köstlichkeit, die die Kunst des Kochens, geboren aus der Einfachheit zum Attribut des Genusses, repräsentiert.
Diese Kochkunst beginnt mit der Wahl der Produkte und deren Behandlung, die mit sehr viel Geschick und Können ihren Anfang nimmt. Was heute als Sauerkraut, saure Rüben und saure grüne Bohnen dem Verbraucher, so auch in manchen, nicht allen Lokalitäten aller Couleur angeboten wird, besteht nicht einmal den Test eines einfachen Mittagsgerichts.
Gerade was den Begriff des Genuss oder Genießens postuliert, ist die subjektive Geschmacksempfindung von einem besonderen Wahrnehmungspotenzial abhängig und sollte niemals verallgemeinert verstanden sein. Was mir persönlich einen Hochgenuss verschafft, ist für den anderen ein leidiges Mitspielen in einer gesellschaftlich geladenen Tafelrunde. Deshalb ist es wichtig, das Differenzierungspotenzial, wie das teilweise in dem Roman „Das Parfum“ von Patrick Süskind gekennzeichnet ist, nicht zu verkennen. Nicht jedes Parfum findet seinen Charakter. Deshalb eine Rezeptur zur Zubereitung von sauren Rüben, die Anlass geben sollte, nach dem Gelesenen des Ikarus, das köstliche als Dessert sich zur Lebens- und Genussfreude aufzubereiten.
Rezeptur für Saure Rüben
Man nehme 1 kg selbst eingelegte gesäuerte weiße Rüben.
Die selbst eingelegten Rüben, wenn man sie aus der Tonne nimmt, müssen schon von solch einem Genuss gekürt sein, dass man gewillt ist, die Zubereitung nach Rezeptur auszusetzen.
Dazu auch ein ¼ Glas von der Milchsäure bereitstellen.
Diese Rüben zunächst mit lauwarmem Wasser leicht durchschwenken.
Danach die sauren Rüben mit einem trockenen Riesling beträufeln und hin und wieder umdrehen, damit der Riesling seine Wirkung nicht verfehlt.
In einen Topf 2 bis 3 Esslöffel Schweineschmalz geben und normal erhitzen.
Dann 1 mittlere weiße Zwiebel und 3 Schalotten sehr fein schneiden, in das heiße Schweinemalz geben und glasig schmelzen.
Weitere Zutaten bereithalten wie:
3 Knoblauchzehen, 3 Lorbeerblätter, Pfeffer und Wacholderbeeren, 2 Boskop Äpfel in dünne Scheiben und ¼ l saure Sahne, 1 Trinkglas besten Rieslings aus der Ortenau oder wo auch immer her, aber sehr gut, trockene Spätlese, altes Gewächs; Salz und Zucker, Zitronensaft.
Nachdem die Zwiebeln den glasigen Charakter angenommen haben mit gedämpfter Wärme weiterarbeiten, nicht kochen sondern leicht köcheln.
Danach die Rüben locker mit Schweinebauch, Schweinefüßchen in überschaubaren Stücken je nach Bedarf (zusammen vielleicht 800 g) Lage für Lage hineingeben, eine Schicht der Rüben, dann Scheiben von Äpfel, 1 Lorbeerblatt, 4 Pfefferkörner, 4 Wacholderbeeren, etwas von dem kleingehackten Knoblauchzehen; dann wiederholt sich die Schichtprozedur, bis die Rüben und die anderen Zutaten aufgebraucht sind.
Nachdem die Schichtarbeit abgeschlossen ist, 1 Glas Riesling darüber gießen, etwas Zitronensaft darauf träufeln und mit einer kräftiger Prise Zucker den vorläufigen Abschluss finden, und dann den Deckel auf den Topf und rein in das Rohr bei ca. 100 °C.
Immer mal nachschauen und permanent abschmecken, auf die eigenen Geschmackssynapsen abstimmen. Die Rüben sollten nicht baden in dem Sud, sondern der Sud muss eine kartoffelsuppenartige Konsistenz haben (Schwarzwald Kartoffelsuppe ist auch eine Delikatesse, die nur sehr wenig zu finden ist, auch in den hoch gepriesenen Genusstempeln nicht).
Sollte der Schweinebauch (das ist der Gradmesser) eine gegarte Substanz aufweisen, so kann der Topf auf eine Heizplatte genommen werden, und zur Aroma – Fertigstellung egalisiert werden
Dazu benötigen wir:
Salz, saure Sahne und Butter in Maßen hinzugegeben. Vielleicht noch eine Prise Zucker. Abschmecken. Sehr milde muss der Geschmacksanspruch sein, mit leicht säuerlichem Charakter.
Wenn es Ihnen nicht gelingen sollte, was ich nicht zwingend befürchte, so bin ich bereit, diese Delikatesse und weitere, wie Sauerkraut, grüne saure Stangenbohnen in der Auberge de Temple mit Ihnen zu kreieren. Nur Mut liebe Genussfreunde!
Günther de Temple
Isabel