Bilder von Menschen und Freundschaft in der Auberge de Temple
Ausgangspunkt der neuen Ausstellung auf dem Johannesberg ist eine Freundschaft. Eine Freundschaft, die arrangiert wurde. Eingefädelt hatte sie einer, der nicht mehr unter uns weilt.
Der umtriebige Dieter Hess wusste, als er Günther de Temple und dessen Auberge de Temple kennenlernte, dass jener ein kongenialer Partner für ihn und seinen langjährigen Freund Mike Kuhlmann werden, dass sie drei und auch Christine Wondrak, Geschäftspartnerin de Temples, ein ungewöhnliches, aber inspirierendes Gespann bilden würden.
Sie zusammenzuführen benötigte Zeit. Doch was dann entstand, war eine einzigartige, durch die Liebe zur Kunst geprägte Allianz. Sie führte schließlich soweit, dass Günther de Temple die Aschaffenburger Rahmenwerkstatt des bereits schwer von Krankheit gezeichneten Dieter Hess übernahm und als „Art de Temple“ im neuen Rahmen fortführt. Seit diesem Sommer werden dort handgefertigte Rahmen, Unikate sowie Fine Art Drucke hergestellt, exzellenter Service angeboten und ab Herbst auch Ausstellungen zu sehen sein.
Kommunikationstalent, Agenturchef und Künstler Mike Kuhlmann (*1966) hatte dort schon zu Hess‘ Zeiten seine Kunst rahmen lassen. Bis zuletzt zeugte eine der „Deutsche Mark“-Graphiken Kuhlmanns in der über der Werkstatt liegenden Wohnung Dieter Hess‘ von der langjährigen Freundschaft der beiden: Kuhlmann hatte die Sonderedition in „Dieters Mark“ umgemünzt und signiert, Hess das Blatt kostbar gerahmt.
Nun ist Kuhlmann mit einer ersten Retrospektive seines Oeuvres, einem Überblick über die letzten 25 Jahre in der Auberge de Temple und der Kunstgalerie auf dem Johannesberg und in Teilen auch in der „Art de Temple“ in Aschaffenburg zu erleben.
„Liebesbilder“ heißt die Schau des seit vielen Jahren in Frankfurt und der Rhein-Main-Region tätigen Kuhlmanns. Inspiriert ist sie vor allem von seinem sogenannten „zweiten Wohnzimmer“, dem Frankfurter Operncafé, gerade gegenüber der Alten Oper. Wer Glück hat, kann Kuhlmann dort selbst erleben. Fast täglich tauscht er sich hier aus, sucht, findet, erfindet, erlebt die Faszination dieses Ortes mit Geschichte, der Tag für Tag kleine und große Geschichten schreibt; ganz in der Tradition von Künstler-Cafés, in denen etwa Kafka schrieb, Immendorff und Matisse malten oder Sigmund Freud Schach spielte.
Eindrücke und Begegnungen aus dem Frankfurter Operncafé verarbeitet Kuhlmann jedoch nie vor Ort. Erst später entstehen in seinem Atelier die zum Teil großformatigen Bilder, Gemälde und Grafiken, meist international einen Bogen um die Welt spannend. Für die aktuelle Ausstellung in Johannesberg wählte Kuhlmann jedoch auch Frankfurter Bezug, denn seine pastosen Ölbilder, sind den hiesigen Fußballern der Eintracht gewidmet. Sie erinnern an aktuelle Tattoos und wer vertraut mit Kuhlmanns Werk ist, entsinnt vielleicht die Live-Performance des Künstlers, als jener auf der Baustelle des noch nicht fertiggestellten Frankfurter Szene-Hotel „Roomers“ unter großer Publikumsresonanz Live-Tätowierungen nach seinen Vorlagen ausführen ließ.
Für seine aktuelle Schau „Liebesbilder“ entwickelte Kuhlmann einen virtuellen Ariadnefaden, der durch die verschiedenen Komplexe seiner Ausstellung führt.
Zunächst zu entdecken sind hier die Ikonen jüngerer Zeitgeschichte, Persönlichkeiten, die jeder kennt. Auch das „Picasso“-Portrait, gleich im Entree des Hotels, schafft Wiedererkennungswert, lässt eigene Bilder im Kopf entstehen, vermittelt Vertrauen und inspiriert, sich in neue Bereiche vorzuwagen. Vorbei an Audrey Hepburn, hier gemeinsam mit Hermann Hesse, dem sie in Wirklichkeit nie begegnete, führt Kuhlmann über Mahatma Ghandi, Nelson Mandela, Frank Sinatra oder Ernest Hemingway bis zur unruhig und unentschlossen sich am kleinen Finger labenden Marilyn Monroe.
Immer sind Filmstills oder fotografische Momentaufnahmens die Vorlagen Kuhlmanns. Überraschend wirken und funktionieren sie wie moderne Hyroglyphen, wie „Emoticons“, aus Emotion und Ikonen (Icon) zusammengefügte Gefühlsbilder seiner inneren Welt.
Wie faszinierend wäre es, einmal unentdeckt in seinem Vorlagen-Archiv stöbern zu dürfen, nachzuspüren, welche Filme er sah, welche Fotos im Gedächtnis blieben. Zu entdecken, was er sammelte, konzentrierte, was ihn faszinierte und einmal den vielen Nächten nachzuspüren, in denen ihn der Fernseher in den Schlaf wiegte, ihn im Traum für neue Arbeiten inspirierte oder auch verstörend wach rief – und er sich dann mit Kinderschokolade tröstete.
Kuhlmanns Momentaufnahmen spiegeln dabei nicht das eine feste Bild aus einer Film- oder fotografischen Vorlage, vielmehr zeigt seine Malerei Bewegung und dass nichts so bleibt, wie es ist. Der Stillstand dessen, was gewesen ist, was die Vorlage verfestigt, verflüssigt Kuhlmann, versetzt es in Bewegung und erreicht damit die Überlagerung verschiedener Bedeutungsebenen.
Jetzt ist der Blick für das menschliche Wesen offen – mit all seinen Facetten, auch für seine Wesenswüsten. Denn Kuhlmann malt den Menschen mit all seinen Möglichkeiten – zu lieben und zu töten, zu verletzen und dabei selbst verletzlich zu sein. Einzigartig erscheint dabei das Gemälde des „Napalm-Mädchens“ aus dem Vietnamkrieg in der Galerie auf dem Johannesberg.
Malen geschieht bei Kuhlmann also nach unterschiedlichen Quellen: Film, Philosophie, Popmusik oder etwa auch Pressebildern.
Das Abbild der Deutschen Mark, im alten Aggregatzustand kann hier als Reminiszenz an den Finanzplatz Frankfurt und als Symbol für Werte und Errungenschaften jüngeren Geschichte verstanden werden.
Dagegen verkörpert das Herz aus dem Bilderzyklus der „Liebesbilder“, der vor 25 Jahren seinen Anfang nahm, bis heute Zentrum und Essenz seines Schaffens: „Liebe ist stets das zentrale Thema meiner Arbeit. Mit dem Herz als global geltendem Symbol möchte ich ihr Ausdruck verleihen, indem ich sie mit viel Liebe auf die Leinwand bringe.“
In der Kunstgeschichte besitzt die Metapher des Herzens seit über fünfzehnhundert Jahren Tradition. Zunächst der stilisierten Darstellung des Feigenblatts nachempfunden, übernahm schließlich das des Efeus die Bedeutung als Zeichen ewiger Liebe. Efeu ist bis heute nicht nur eine sehr langlebige Pflanze, sondern erinnert darüber hinaus formal an das weibliche Gesäß.
Höhepunkt der Ausstellung bilden schließlich die „Propheten“, eine umfangreiche Serie von Kinderportraits, die sämtliche Kontinente und auch Religionen reflektieren. Als Gesandte künden sie sehend, aber auch mahnend von Liebe und Barmherzigkeit.
Als während der Aufbauarbeiten für die Schau im Gourmet-Restaurant der Auberge eine Diskussion entbrannte, ob denn das großformatige „Mädchen mit Reisschale“ opportun für eine solche Umgebung sei, konnte es nur eine Antwort geben. Denn zum Privileg, in einem Sternerestaurant essen und zu genießen, gesellt sich hier ein Grundsatz der Kuhlmann’schen Kunst, nämlich das Teilen.
Seiner Maxime „Sharety“, einer Mixtur aus Sharing und Charity, ordnete er sein gesamtes künstlerisches Bestreben unter. Teilen, so Kuhlmann, erhöhe den Gewinn der Liebe. Teilen bedeute gemeinsamen Nutzen, es ermögliche bessere Ausnutzung jeden Potenzials. Besonders deutlich wird dies bei „immateriellen Dingen“, etwa dem Wissen, das durch Mitteilung erst lebt.
Stellen Sie sich vor, alleine im Gourmetrestaurant zu essen. Vielleicht wäre es schöner, diesen Genuss zu teilen. Erkenntnisgewinn und Glücksgefühle nahezu garantiert.
Dr. Ariane Grigoteit
Isabel