Johannesberg muss ein gesegneter Ort sein, sonst wäre es den Kirchenbauern nicht in den Sinn gekommen, den Mittelpunkt als Stätte der Transzendenz auszuwählen. So konnte es nicht ausbleiben, dass von ideenreichen, inspirierten Menschen eine imaginäre Brücke geschaffen wurde, die die kulinarische mit der geistigen Erlebniswelt verbindet. Unerwähnt bleiben soll auch nicht, dass die Stätte des Genusses aus dem 17. Jahrhundert vor dem imposanten Kirchenbauwerk zu einem Ort der Symbiose kultureller Schöpfungen geworden ist. Auf einen kurzen Nenner gebracht: die Kunst und das heilige Zusammentreffen.
In der Auberge de Temple soll es nicht das Anliegen sein, den Menschen zu formen. Vielmehr soll es ihm in ihr erlaubt sein, sich zu entfalten.
Nichts bleibt ewig. Der griechische Philosoph Heraklit brachte das Werden und Vergehen aller Dinge auf die Formel panta rhei – alles fließt. Und so wie ein Mittags- oder Abendmahl verfeinert wird, so wurde die Formel vom Philosophen Platon mit geistigen Ingredienzien angereichert: „Alles bewegt sich fort und nichts bleibt.“
Eine Erkenntnis der Herrlichkeit.
Alles bewegt sich fort und nichts bleibt.
Heraklit
So kam es, dass das Forum Johannesberg neu belebt worden ist durch begeisternde Maßnahmen, ergriffen in der Absicht, die Veränderung, die Evolution zu ehren. Sie sollen dem historisch gewachsenen kulinarischen Tempel nicht seine Patina nehmen, sollen ihm vielmehr durch Ideen neuen meisterlichen Glanz verleihen, einer sonnenverwöhnten, an kostbaren Früchten reichen Landschaft gleich.
Wie sagte es Schiller in seinem Lied von der Glocke? „Von der Stirne heiß, rinnen muss der Schweiß, soll das Werk den Meister loben, doch der Segen kommt von oben.“
Im Falle der Auberge de Temple kommt der Segen von nebenan.
Das Gewand, das der Herberge zu ihrem neuem Gesicht verhilft, findet immer mehr seine Vollendung, wie ein Bildnis, das die Künstlerin oder der Künstler den Schauenden als Anregung zum schöngeistigen Dialog darbietet. Geboren aus einer seelischen Stimmung, die keinen Ansatz zum Erklären erlaubt. Eine Reise ins Neue, mit vielen Stationen, die zum Bleiben einladen, um zu sehen, zu staunen, zu empfinden, um der Sinnlichkeit Zeit und Raum zu geben.
Wie ein Bildnis, gleich der künstlerischen Ausdrucksformen Viola de Temples und ihrer Freundin Arja Wunsch. Beide stammen aus Finnland. Beide verstricken sich in einen Sachverhalt, der den guten Geschmack auf ungewöhnliche Weise übersteigt.
Viola de Temple verkörpert in ihrem kreativen Tun die finnische Lebensphilosophie und Geisteshaltung, die die Finnen als Sisu bezeichnen. Diese bedeutet, jenseits der individuellen schöngeistigen schöpferischen Prägung, die in ihren Bildern wie Perlen erkennbar wird: Fleiß, Verzicht, Kraft, Ausdauer, Mut, Zuversicht, Beharrlichkeit. Viola de Temples Lebenscredo lautet: Man muss in das Gelingen einer Sache verliebt sein, nicht in das Scheitern.
Mit Arja Wunsch verbindet Viola eine seit Kindesbeinen verwurzelte, lieb gewordene, herzliche Freundschaft, die sich in der Lebensphilosophie von Sisu widerspiegelt. Ihr künstlerisches Talent befähigt Arja, Märchen in Bildern zu erzählen. Arjas vielseitige Kreationen, die künftig in einer Sonderausstellung in der Auberge de Temple gezeigt werden, erfüllen nicht nur Kinderträume. Es sind Illustrationen einer fiktiven Gedankenlandschaft, die eine Fantasie zur Leidenschaft verführen, die der finnischen Melancholie einen pittoresken Hauch des Entzückens verleihen.
Dabei bleiben diejenigen nicht unberührt, die sich im ritualisierten Kirchgang zur Andacht bewegen, die mit sehnsüchtigem Lächeln erblicken, wie die Idylle durch die Reise vergangener Epochen an Schönheit, Erhabenheit gewinnt.
Spielende Kinder sind lebendig gewordene Freuden.
Was meinte Herrmann Hesse in seinem Märchen Kindheit eines Zauberers?
Gescheite Leute waren unter ihnen, zugegeben, auch unter den Lehrern. Aber war nicht das eine schon merkwürdig und verdächtig, dass unter allen diesen „großen“ Leuten, welche doch alle vor einiger Zeit selbst Kinder gewesen waren, so sehr wenige sich fanden, die es nicht vollkommen vergessen und verlernt hatten, was ein Kind ist, wie es lebt, arbeitet, spielt, denkt, was ihm lieb und leid ist? Wenige, sehr wenige, die das noch wußten!
Ein Kindergarten mit seinen Gästen, spielende, im Lebenskarussell sich drehende, im Sand sich tummelnde, umsorgt von schützender Hand. Und die Einkehr in die Herberge, vom Schein der Sonne in Farbnuancen getaucht, belebt das Gemüt, öffnet das Tor zu innerer Ruhe.
Der Baum wurde gesetzt vor wenigen Tagen mit der Losung: Abkehr von der Hast und Eile, die der Lebenskampf heraufbeschwört. Lasst Muse wieder in Euch kehren und nehmet Teil an der Freude, die das Haus Auberge de Temple zu bieten hat. Mein Glück hat mich zu herzlichen Menschen geführt.
Manche gehen unter in der Tiefe des Meeres, andere steigen empor zum Himmel der Seligkeit. Wie wir erkennen können, ist nichts unmöglich. Ein Unglück, das wurzelt in einer Idee, vermag die größte, vielleicht auch die schönste Fantasie zu entwickeln.
Günther de Temple
Isabel